Die Hexe und der Herzog
geworden. Und doch gab es da stets etwas, was sie zur Zurückhaltung mahnte, eine leise, unbequeme Stimme, die sich immer dann meldete, wenn sie nah daran war, in seiner Gegenwart den Kopf zu verlieren.
»Oder gibt es da vielleicht noch einen anderen, der dir schöne Augen macht?« Hella gab sich nicht mit dem Schweigen der Freundin zufrieden. »Doch nicht etwa diesen blassen Juristen, den ich neulich im Frauenzimmer gesehen habe, diesen …«
»Johannes Merwais.« Ganz selbstverständlich war der Name über Lenas Lippen gekommen. »Was zimmerst du dir da zurecht? Johannes ist lediglich ein Freund.«
»Ein Freund? Der es mit einem wütenden Kassian aufnimmt, nur um dich zu schützen? Und schon dunkelrote Ohren bekommt, wenn du ihm nur ein Stück Kuchen reichst?« Hella strich Sebi im Vorbeigehen kurz über den Kopf, und zu Lenas Erstaunen ließ er sie gewähren. Offenbar verfehlte ihre verwirrende Präsenz, die alle Männer in Bann schlug, nicht einmal bei ihm die Wirkung. »Eigentlich gar kein so schlechter Kandidat, finde ich, je länger ich darüber nachdenke. Dein Niklas, der ist jemand zum Schwärmen und Küssen, dieser brave Jurist aber, der ist genau der richtige Mann zum Heiraten.«
»Hast du jetzt vollkommen den Verstand verloren?«
»Wie lange willst du dir damit eigentlich noch Zeit lassen? Bis du alt und schrumplig bist?«
Die Blicke der beiden begegneten sich.
»Jedenfalls werde ich nicht heiraten, um dann meinen Mann gleich zu betrügen.« Lena erhob sich.
»Betrügen?«, wiederholte Hella gedehnt, als höre sie das Wort zum ersten Mal. »Du solltest nicht so reden, Lena! Ich bin nun mal, wie ich bin. Und genauso werde ich auch bleiben, was immer geschehen mag.«
Etwas in ihrem Tonfall hatte Lena stutzig gemacht.
»Hängt das zufällig mit der Narbe an deinem Handrücken zusammen?«, fragte sie. »Ich hab dich niemals danach gefragt, Hella. Vielleicht, weil ich mir immer gewünscht habe, du würdest es mir von dir aus erzählen. Doch bis heute hast es nicht getan. Warum eigentlich?«
Im Stehen überragte Hella die Freundin ein ganzes Stück.
»Ach das«, sagte sie leise. »Das hat noch Zeit. Irgendwann werden wir schon …« Sie räusperte sich. »Möglich übrigens, dass auch ich schwanger bin«, fuhr sie noch leiser fort. »Aber vielleicht stockt ja auch bloß mein Blut. Ich werde Barbara fragen gehen. Wenn eine von uns Bescheid weiß, dann sie.«
»Schwanger? Von wem? Doch nicht …«
Hella zog die Schultern hoch. »Heißt es nicht, Gott liebt jedes Kind, das das Licht der Welt erblickt? Dann wird er mein Kleines doch bestimmt auch lieb haben!«
Im Leben war die Reindlerin eine schöne Frau gewesen, und wenn Rosin ihre Arbeit erst einmal vollendet hatte, würde sie das auch im Tod wieder sein. Es war nicht einfach gewesen, den aufgelösten Blasius Reindler dazu zu bewegen, die Kammer zu verlassen, in der die Verstorbene lag. Auch seine beiden halbwüchsigen Töchter hatten sich im engen Hausf lur tränenüberströmt an Rosins Rock geklammert, als könne sie ihnen Halt und Hoffnung geben. Für das aber, was sie jetzt zu tun hatte, musste sie allein sein, und das gab sie dem Witwer und seinen Mädchen unmissverständlich zu verstehen.
»Ihr könnt später bei ihr wachen«, sagte sie. »Jetzt ist erst einmal meine Stunde.«
In ihrem Korb war alles, was sie brauchte; für frisches Wasser hatte Blasius auf ihre Bitte hin bereits gesorgt. Sie kannte den stämmigen Fassmacher, der ihrem Vater die Fässer für seine kleine Brauerei lieferte, seit vielen Jahren. Bestimmt hatte er deswegen auch sie zu seiner toten Frau gerufen und nicht die Gevatterin Kohler, die als Seelnonne die Leichen in Wilten und Innsbruck schon zur letzten Reise gebettet hatte, als Rosin noch ein Mädchen gewesen war.
Mit einem scharfen Messer schnitt sie das Hemd auf, in dem die tote Veverl noch steckte. Schweiß und Blut hatten ihre Spuren hinterlassen; es taugte nicht einmal mehr dazu, um in Streifen geschnitten und als Putzlappen verwendet zu werden. Der nackte Körper vor ihr gab all seine Geheimnisse preis: die knöchernen Schlüsselbeine, den schmalen, mädchenhaften Rumpf, die silbrigen Querstreifen auf dem Bauch, die schwere Schwangerschaften verrieten, der schüttere Busch, in den sich lange vor der Zeit erste Silberfäden gemischt hatten. Mit einem Schwamm fuhr sie behutsam über die wächserne Haut und machte auch vor dem hässlichen Geschwür der linken Brust nicht halt, das unaufhaltsam gewachsen war
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