Die Hexe und der Leichendieb: Historischer Roman (German Edition)
der Erleichterung wollte sie sich erheben – und spürte im selben Moment einen eisernen Griff im Nacken. Ehe sie einen Laut von sich geben konnte, wurde ihr Kopf gegen die Holzinnenwand geschlagen. Jemand presste ihr die Hand auf den Mund und zerrte sie auf die Füße.
Marsilius. Sie erkannte ihn an seinem Geruch. Ihr wurde vor Angst und Abscheu schwach in den Knien. Ihr Ehemann zischte ihr Dinge ins Ohr, die so grässlich waren, dass sie mit aller Kraft versuchte, ihm nicht zuzuhören. Ich hasse dich … Du gehörst mir … Du wirst lernen, mir zu folgen, und sei es mit der Peitsche auf der blanken Haut … Du wirst mir Kinder gebären … Er griff zwischen ihre Beine, als wollte er ihr auf der Stelle Gewalt antun. In einem Gotteshaus? Wie hatte er sie überhaupt gefunden?
Sophie versuchte zu schreien. Zornig riss Marsilius ihr die Haube vom Kopf und stopfte sie in ihren Mund. Sie rang nach Luft, versuchte durch die Nase zu atmen und schaffte es nicht. Panisch begann sie um sich zu treten. Marsilius’ Hände glitten von ihrem Gesicht zu ihrem Hals. Er drückte zu. Verschwommen sah Sophie, während die Beine unter ihr fortknickten, das Gesicht einer Frau. Sie hörte einen Schrei, der hohl von der Kirchenkuppel widerhallte. Dann Männerstimmen.
Marsilius ließ von ihr ab, und sie stürzte von den Brettern des Beichtstuhles auf den harten Fliesenboden der Kirche. Mit letzter Kraft riss sie die Kappe aus dem Mund und schnappte nach Luft. Marsilius beschimpfte die Frau – es war die Magd, die den Boden gewischt hatte – und zog sein Schwert. Die Bedrohte wich zurück und bekreuzigte sich, ohne ihr Geschrei zu unterbrechen.
Tomas kam herbeigeeilt. Sophie hörte ihn aufgebracht eine Erklärung verlangen. Marsilius beachtete ihn kaum. Er hatte allein die ungetreue Ehefrau im Blick. Sie sah, wie er seine Hände gegeneinander rieb und tiefster Hass in seinen Augen aufglomm.
Jetzt bringt er mich um!
Während sie sich schutzsuchend zurück in den Beichtstuhl schleppte, wurde ihr klar, dass niemand ihn dafür zur Rechenschaft ziehen würde. Wenn er von der Nacht erzählte, in der sie vor seinen Augen einen Werwolf und Hexer geküsst hatte: Wer würde ihn dann noch verdammen?
»Tut ihr etwas an, und ich werde Euch an den Galgen bringen – das schwöre ich«, brüllte Tomas mit erstaunlichem Mut. Marsilius umfasste den Griff seines Schwertes mit beiden Händen. Er hob die Waffe über den Kopf – nicht um Tomas anzugreifen, sondern um sie Sophie in den Leib zu rammen.
Da öffnete sich die zweite Tür des Beichtstuhls. Die verwirrte und verschlafene Gestalt eines dicken Paters zwängte sich ins Freie. Das also war der Grund, warum Sophie ihre Beichte nicht hatte ablegen können – der Mann, der sie ihr abnehmen sollte, war in der kurzen Zeit, in der sie zum Beichtstuhl gegangen war, eingeschlummert. Sein Blick wanderte von Marsilius zu Tomas, zu der Magd, zu Sophie und wieder zu Marsilius, und mit jedem Atemzug wuchs seine Empörung.
»Und wenn der Galgen hinter dir liegt, du Unglückseliger, wird das Nächste, was du siehst, die Glut der Hölle sein. Du wagst es, im Hause Gottes Blut zu vergießen?«, donnerte er mit einer Stimme, die alle anderen übertönte. Ohne Furcht vor der Klinge schob er sich vor Sophie, packte das goldene Kreuz, das vor seinem Bauch baumelte, und hielt es Marsilius entgegen. Es war eine imposante Geste – die allerdings auch die Marodeure in Magdeburg nicht von ihren Verbrechen hatte abhalten können. Altäre waren trotzdem geschändet und heilige Räume verwüstet worden.
Auch Marsilius ließ das Schwert nicht sinken. Doch Sophie sah, wie seine Augen sich beim Anblick des heiligen Gegenstandes weiteten. Einige Sekunden stand er völlig starr und stierte auf das goldene Gottessymbol. Und dann, ganz allmählich, wandelte seine Wut sich in Entsetzen. Sein Gesicht wurde zu einer Fratze, er schien die Beherrschung über jeden einzelnen seiner Muskeln verloren zu haben. Das Schwert entfiel seinen erschlaffenden Händen, krachte zu Boden und schlitterte über die Fliesen, wo es vor einer Säule liegen blieb. Sophie war wie vom Donner gerührt. Marsilius hat sich nicht nur mit einer Hexe eingelassen – er weiß es auch. Er weiß, dass er seine Seele verloren hat, dachte sie schockiert. Er hat Todesangst vor dem, was ihn erwartet, wenn er sterben wird. Kein Wunder – begleiteten die Bilder von den Qualen der gepeinigten Seelen sie nicht durchs ganze Leben? Auch in dieser Kirche
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