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Die Hexe und der Leichendieb: Historischer Roman (German Edition)

Die Hexe und der Leichendieb: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Die Hexe und der Leichendieb: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helga Glaesener
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ihr vorbei, und sie spürte, dass er nicht die ganze Wahrheit sagte. Stand es schlimmer um Christine, als er zugeben mochte? War sie womöglich auf den Tod erkrankt? Als sie in ihn drang, beruhigte er sie. Trotzdem hätte sie sich am liebsten unverzüglich auf den Weg nach Hause gemacht. Doch Julius verwehrte es ihr mit dem vernünftigen Hinweis, dass sie sich für den Prozess bereithalten müsse. Ihr Kind benötigte sie dringender als die Schwester, der sie nicht mehr als Trost spenden könnte.
    »Ist Vater zornig auf mich?«, fragte Sophie ängstlich.
    Julius schaute wieder an ihr vorbei, dieses Mal zum Fenster, wo ein heftiger Regen gegen die Scheiben trommelte, in den sich bereits erste Schneeflocken mischten. »Keineswegs. Ihr wisst doch, wie herzlich er Euch liebt. Denkt an Henriette. Mit ein wenig Glück haltet Ihr sie bald in den Armen.«
    Und tatsächlich kamen die Vorbereitungen für den Prozess voran. Tomas, der bei den anderen Assessoren der Kammergerichts hohes Ansehen genoss, schaffte es, dem Streitfall zwischen ihr und Marsilius eine Priorität zu verschaffen, die er normalerweise kaum bekommen hätte. Er erreichte einen Prozesstermin für Ende November.
    »Wenn ich meine Tochter durch einen Spruch des Gerichtes zurückbekäme«, sagte Sophie überglücklich, »würde nicht einmal Marsilius es wagen, dagegen aufzubegehren. Er könnte es ja gar nicht, weil er selbst noch Prozesse um seine Ländereien führt und das Gericht nicht brüskieren dürfte. Ich habe doch recht, oder?«
    »Eine Tochter?«, fragte Irmgard, die mit ihr und Julius im Zimmer saß. Es waren die ersten Worte, die Sophie von ihr hörte, und sie wandte sich erfreut ihrem Schützling zu. Doch Irmgard hatte das Interesse schon wieder verloren und sank zurück in ihre alte Apathie.
    »Wir haben Grund zur Zuversicht«, erklärte Julius.
    An einem der folgenden Nachmittage kam der jesuitische Pater zu Besuch. Tomas überzeugte sich noch einmal, dass er bereit wäre, Marsilius’ empörendes Verhalten in der Kirche zu bezeugen. »Er wich vor dem Kreuz zurück«, bestätigte der dicke Mann, der Ignatius hieß und trotz seines beträchtlichen Leibesumfangs ein asketischer Mann zu sein schien, denn er nagte an einer Birne, die er als einzige Speise annehmen wollte. »Sein Verhalten war nicht misszuverstehen. Im Angesicht des Kreuzes ergriff ihn die Furcht des unbußfertigen Sünders, und für mich kann das nur bedeuten, dass er selbst ein Hexer ist.«
    Sophie dachte an die Nacht zurück, in der Marsilius ihr versprochen hatte, Edith fortzuschicken. Nein, Marsilius war kein Hexer – nur ein Mann, der sich in den Ränken einer Hexe verfangen hatte. Aber sie sagte das nicht laut. Sie wollte Henriette zurückbekommen, und es war ihr nur recht, wenn ihr Ehemann in einem möglichst schlechten Licht dastand.
    »Tja«, meinte Tomas, nachdem der Pater gegangen war. »Diese Aussage wird uns weiterhelfen. Aber das Urteil wird von acht Assessoren gesprochen werden, und einige von ihnen sind … schwierig. Niemand spricht laut darüber, doch die Flut der Hexenverfahren, die dem Gericht zur Revision vorgelegt werden, wächst von Tag zu Tag. Einige meiner Kollegen fragen sich, woher plötzlich all die Hexen kommen sollen. Es geht ein Büchlein um – das bleibt aber bitte unter uns – mit dem Titel Cautio Criminalis . Darin wird, anonym natürlich, gefordert, dass wir zu foltern seien: Richter, Prälaten, Kirchenlehrer, Jesuiten … Wenn das geschähe, würden wir allesamt gestehen, Zauberer zu sein, und Gott würde uns keineswegs die Kraft geben, standhaft bei der Wahrheit zu bleiben. Das Buch ist natürlich pure Blasphemie, aber zwei Assessoren, von denen ich bereits weiß, dass sie es gelesen haben …«
    »Warum ist es Blasphemie?«, fragte Julius. »Du weißt doch selbst, wie viele Ehemänner, Schwiegertöchter und Nachbarn ihre Anzeigen nur deshalb vorbringen, um sich unliebsamer Menschen zu entledigen.«
    »Deswegen gibt es ja das Kammergericht. Wir prüfen diese Fälle.«
    »Und ihr sprecht viele Frauen frei. Auch die, die unter der Folter gestanden haben – was ja nicht hätte geschehen sollen, wenn der Herr den Unschuldigen Kraft gäbe, dem Schmerz zu widerstehen.«
    »Himmel, Julius, selbstverständlich gestehen etliche fälschlich – weil ihnen der Glaube fehlt, sich an den Herrn zu wenden.«
    »Und wie willst du sie von den wahren Hexen unterscheiden?«
    »Wer sagt, dass unser Geschäft einfach ist? Wisst Ihr, Sophie, Moritz von

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