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Die Hexe und der Leichendieb: Historischer Roman (German Edition)

Die Hexe und der Leichendieb: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Die Hexe und der Leichendieb: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helga Glaesener
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hättest, wäre sie immer noch diskreditiert. Es muss schon etwas Acht- und Ehrbares sein. Und was ist ehrbarer als die Pflege einer kranken Dame?«
    »Wie willst du Sophie denn kennengelernt haben?«
    »Sie kam nach der Flucht aus ihrem Elternhaus zum Kammergericht, weil sie Klage gegen ihren Ehemann einreichen wollte. Dabei ist sie zufällig an mich geraten, und ich habe ihr aus Mitleid und aus Verantwortung gegenüber der offenbar ehrsamen Familie die Stelle als Gesellschafterin meiner kranken Schwester angeboten. Eine so junge, erschrockene und hilflose Frau …«
    »Und wenn deine Schwester etwas anderes sagt?«
    »Du siehst doch – sie redet nicht«, erklärte Tomas.
    Aber genau das war unerträglich. Sophie stellte es fest, nachdem sie mehrere Tage bei der unglücklichen Irmgard in dem vergitterten Zimmerchen ausgeharrt hatte. »Warum lebt sie denn hier so abseits von den anderen Menschen?«, fragte sie. Das müsse sein, erklärte Tomas, weil nur dieser Raum genügend gesichert sei, um Irmgard zu schützen.
    »Aber wie soll sie wieder Mut zum Leben fassen, wenn sie den ganzen Tag auf Gitter starrt? Ich verliere selbst fast den Verstand. Sie braucht eine heitere und behagliche Umgebung. Sie braucht Normalität.«
    Tomas war skeptisch und rückte schließlich damit heraus, was ihm wirklich Sorgen bereitete. In dem Haus gab es ein halbes Dutzend Dienstboten und gelegentlich Besucher, die sich über das seltsame Gebaren seiner Schwester sicher wundern würden. Und in einer Stadt wie Speyer, in der ein Hexenprozess den nächsten ablöste, konnte Irmgards Verhalten schnell missverstanden werden.
    »Aber sie ist doch einfach nur stumm.«
    Tomas schüttelte den Kopf. Auf Sophies Bohren gestand er schließlich, dass seine Schwester mit ihren Zähnen Kissen zerrissen hatte, als man sie zu Beginn ihres Aufenthalts in den kleinen Salon ließ.
    »Und Ihr denkt, dass die Dienstboten weniger tuscheln, wenn Ihr Eure Schwester hier einsperrt?«
    Tomas musterte den Raum, als fiele ihm zum ersten Mal auf, wie beklemmend er wirkte. »Ihr meint, ich sollte sie trotz allem, was vorgefallen ist, herauslassen?«
    Sophie nickte, und Tomas beschloss bangen Herzens, die Haft seiner Schwester ein wenig zu lockern. Als sich zeigte, wie glücklich Irmgard – von Sophie und Tomas ängstlich beobachtet – die Blumen und die polierten Flächen der Möbel berührte, erlaubte er seiner Schwester, sich in den Stunden, in denen kein Besuch erwartet wurde, in den Wohnräumen aufzuhalten. Und schließlich gestattete er den beiden Frauen sogar Spaziergänge im Garten. Das Haus mit den Papageien fürchtete Irmgard, doch sie liebte die bunten, stürmischen Herbsttage, und so saß Sophie mit ihr, eingemummelt in Decken, auf einem kleinen Bänkchen, und sie schauten den Vogelschwärmen nach, die in ihr Winterquartier flogen.
    Während Irmgard stumm die Hände knetete, erzählte Sophie von ihrer glücklichen Kindheit und den düsteren Tagen in der Wildenburg. Und einmal auch, zögernd, denn es tat weh, von Henriette, die sie hätte lieben müssen, in dem Moment, in dem Julius sie in ihre Arme legte, und die sie doch nicht geliebt hatte. »Mein Töchterchen hat schwarze Haare, Irmgard.«
    Die Frau starrte ins Leere, aber es kam Sophie so vor, als hätte sie ihr zugehört.
    Während sie sich um Irmgard mühte, brachte Tomas ihre Klage vor Gericht. Zunächst einmal befassten sich zwei Assessoren – ein Referens und ein Correferens – mit ihrem Anliegen, um sich einen ersten Überblick zu verschaffen. »Ich dränge sie«, sagte Tomas, »aber nicht allzu sehr. Ihr kommt am besten weg, wenn Ihr nicht auffallt.«
    »Was tun sie denn?«
    »Sie befassen sich mit dem Leumund Eures Gatten und natürlich auch mit Eurem eigenen und prüfen, inwieweit das, was Ihr dieser Edith vorwerft, als Hexerei aufzufassen ist.«
    »Aber was sollte es denn sonst sein?«
    »Es ist Hexerei – wenn es tatsächlich so stattgefunden hat.« Er tätschelte beruhigend ihre Schulter. »Euer Gatte hat vor wenigen Jahren bereits Hexen verbrennen lassen, was zu seinen Gunsten spricht, belegt es doch, dass er kein Hexenfreund ist. Aber er hätte diese Hinrichtungen gar nicht anordnen dürfen, denn sein Nachbar, Werner von Reifferscheidt, besitzt die Blutgerichtsbarkeit über das Wildenburger Gebiet – und solche juristischen Übergriffe lieben wir Assessoren nicht. Die Achtung vor den Gerichten ist eine der Säulen, die Deutschland über hundert Jahre Frieden bewahrt

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