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Die Hexe und der Leichendieb: Historischer Roman (German Edition)

Die Hexe und der Leichendieb: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Die Hexe und der Leichendieb: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helga Glaesener
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waren Abbildungen des höllischen Feuers und der Dämonen zu sehen, die die Sünder marterten.
    Sie zuckte zusammen, als Marsilius sich umdrehte und gehetzt ins Freie rannte. Kaspar, sein Henker und Helfer, der erschrocken bei der Kirchentür stand, kam heran, raffte das Schwert an sich, schlug ein Kreuz und beeilte sich, seinem Herrn zu folgen.
    »Das«, sagte Tomas leise und wütend, »wird dem Kerl bei dem Prozess den Hals brechen. Er ist vor dem heiligen Kreuz zurückgewichen – und dafür gibt es Zeugen!«

   ulius wälzte Sätze in seinem Kopf. Er verwarf eine Formulierung nach der anderen, während er durch den kalten Vormittag ritt. »Es tut mir leid, Sophie, Euch traurige Nachricht bringen zu müssen … Liebe Sophie, seid bitte stark …« Doch am Ende war es gleich, in welche Worte er es fasste: Die grausame Botschaft würde die junge Frau ins Mark treffen.
    Es waren vielleicht noch acht Meilen bis nach Speyer. Dazwischen lag der Rhein, den er mit einer Fähre überqueren würde. Allmählich wünschte er, er könnte die Strecke in die Unendlichkeit verlängern. Obwohl: Unterschätzte er nicht die Stärke dieser kleinen, unerschrockenen Person, die mit sich rang, die an sich zweifelte, die sich fürchtete – und dann plötzlich Entscheidungen traf, die an Kühnheit kaum zu überbieten waren? Er musste lächeln, als er daran dachte, wie entschlossen sie Marx zurückgelassen hatte, um mit seiner, Julius’, Hilfe den Prozess gegen ihren Ehemann zu führen. Sie hatte besondere Gefühle für Marx, daran gab es keinen Zweifel. Aber sie hatte auch ein Ziel vor Augen, und dieses Ziel hieß Henriette. Danach richtete sie ihr Handeln aus. Sophie war stärker, als sie selbst wusste.
    Julius trieb sein Pferd voran. Der Wind war frisch, ihn fröstelte. Die Hufe seines Pferdes gruben sich tief in die feuchte Erde. Er ritt durch einen Wald, der zu großen Teilen abgeholzt und neu bepflanzt worden war, so dass er über die Jungbäume hinweg einen klaren Blick nach vorn hatte. Dort sah er den grauen Gürtel des Rheins auftauchen und dahinter die Silhouette von Speyer mit den imposanten Kirchtürmen.
    Er begann zu überlegen. Was konnte er Sophie anbieten, um zu verhindern, dass sie in Verzweiflung versank? Tja, wenn ihr Mann stürbe … Aber in was verstieg er sich da? Marsilius war jung und kräftig. Und solange er lebte, besaß er ein Recht auf seine Ehefrau, das stand fest – selbst nach dem, was in Breitenbenden geschehen war. Julius hatte, seit er das Gut von Sophies Eltern verließ, die vatikanischen Gesetze zur Ehescheidung in seinem Kopf gewälzt und gefunden, dass es keine Möglichkeit gab, Sophies Ehe für ungültig erklären zu lassen. Sie war schwanger geworden, die Ehe also vollzogen, und beide Ehepartner waren christlichen Glaubens. Nicht einmal Christines Schicksal konnte daran etwas ändern.
    Das Pferd hob den Kopf und schnaubte, und Julius wurde wachsam. Hinter ihm wurden Huftritte laut. Er drehte sich im Sattel und legte die Hand auf den Schwertknauf. Ein Reiter preschte heran. Ein Söldner? Einer dieser Galgenvögel, bei denen man nie wusste, was geschehen würde, wenn sie betrunken oder verzweifelt genug waren? Er stöhnte auf, als der Mann um eine Ecke bog. Es war Marx! Natürlich. Der Mistkerl war nicht an der Schusswunde gestorben, und er mischte sich, kaum wieder auf den Beinen, erneut in sein Leben ein. Hätte ich doch nur höher gezielt, dachte Julius inbrünstig und meinte es in diesem Moment durchaus ernst. »Woher wusstest du, wo du mich findest?«
    »Wie kommst du drauf? Ich bin nicht weniger verdutzt als du.« Marx drängte sein Pferd neben das von Julius. »Bin ich wirklich. Was treibst du hier draußen? Ich dachte, du sitzt in staubigen Zimmern und sortierst Unterlagen für den Prozess.«
    »Bist du hinter Marsilius her?«, fragte Julius, ohne auf den spöttischen Ton einzugehen.
    Etwas glomm im Marx’ Augen auf. »Ist er hier?«
    »Natürlich. Es ist sein Prozess so gut wie der von Sophie.«
    Marx sprach leise auf den Schimmel ein, und das Tier passte sich dem Tempo von Julius’ Braunem an. »Und was macht das Bein?«
    »Bitte?«, entgegnete Julius.
    »Du hast mich ins Bein geschossen. Ich finde, du könntest fragen, was draus geworden ist.«
    »Du jammerst über einen Kratzer?«
    »Stimmt! Wie wehleidig von mir«, antwortete Marx ironisch.
    Julius hob gleichgültig die Achseln. Eine Weile ritten sie stumm nebeneinander her. Dann sagte er: »Was hast du also vor? Sophie ist

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