Die Hexe und der Leichendieb: Historischer Roman (German Edition)
zu erzählen, und sie lauschte mit immer größer werdenden Augen seinem Bericht über die Frau, die um sein Lager gestrichen war und die sie nun endlich gefangen hatten und bei der es sich offenbar um Josepha handelte.
»Dann hat sie also doch überlebt!«
»Ja, und sie könnte die Zeugin sein, die den Prozess zu deinen Gunsten entscheidet.«
»Warum sagst du das so zögernd?«
Er schüttelte den Kopf. »Sophie, ich weiß nicht. Das Weib sieht aus wie die Hexen in unseren Alpträumen.«
»Aber wie sollte es anders sein, nach allem, was ihr widerfahren ist?«
»Ich kann sie nicht leiden. Und ich trau ihr nicht.«
»Sie ist eine gute Seele, die einfach nur Angst hat. Und sie stand in der Burg auf meiner Seite. Sie hat etwas für mich riskiert.«
»Ja.« Er gab sich einen Ruck. »Ich habe sie draußen in der Gasse warten lassen. Öffne ihr die Dienstbotenpforte, sobald sie pocht. Versteck sie hier und bitte Julius, sie unter die Lupe zu nehmen. Er ist der Magister der Jurisprudenz. Soll er entscheiden, ob sie als Zeugin taugt.«
»Warte«, wollte Sophie sagen, als er sich erhob, aber sie schluckte es herunter. Mit blassem Gesicht beobachtete sie, wie er durch den Garten humpelte und eine Mauer erklomm, hinter der er verschwand. Immer noch aufgewühlt, ordnete sie ihre Kleider und lief ins Haus zurück, wo sie bei der Tür neben der Küche Stellung bezog. Kurz darauf klopfte es. Sie zog Josepha ins Haus und brachte sie in das Zimmerchen, das sie mit Irmgard bewohnte. Dann holte sie Julius und Tomas.
Es war so weit. Endlich!
Die Assessoren des Reichskammergerichts hatten sich am Kopf des geräumigen Gerichtssaales hinter einem Tisch niedergelassen und blätterten im Licht der hohen Fenster in ihren Papieren. In ihrer Mitte thronte Moritz von Büren, der Kammerrichter, der fünfundfünfzig Hexen hatte hinrichten lassen, die sein Land mit ihren Verbrechen unsicher machten. Er war schlank, mit langem, braunem Haar und erstaunlich jung, vielleicht sogar noch jünger als Julius. Sein breitlippiger Mund wurde von einem Schnauzbart und einem akkuraten Kinnbart umrahmt. In Sophies Augen machte er den selbstgefälligen Eindruck eines sehr jungen Mannes, dem zu früh zu viel Macht anvertraut wurde. Genau wie Marsilius, dachte sie. Wenn dieser Richter zu einer Meinung gekommen war, würde ihn nichts mehr umstimmen, weil er es nicht ertragen konnte, belehrt zu werden. Sie wünschte plötzlich, sie wäre hübscher oder sonst wie geeignet, bei einem Mann Zuneigung hervorzurufen.
Beklommen schaute sie sich um. Sie selbst saß mit Tomas auf einer Bank, die im rechten Winkel zum Podium der Richter stand. An einem Tischchen nicht weit von ihr rückte ein Notar seine Tintenfässer und Federkiele zurecht. »Jeder Antrag, der gestellt wurde, und alles, was das Gericht beschließt, wird schriftlich festgehalten«, erläuterte Tomas ihr leise. Schön. Aber das interessierte sie nicht, denn sie hatte Marsilius entdeckt. Er kam gerade zur Tür herein und setzte sich, flankiert von seinem Advokaten, auf die Bank ihr gegenüber. Sein Blick brannte auf ihrer Haut, und plötzlich wünschte sie sich, es stünde ein Tisch zwischen ihr und ihrem Ehemann.
»Keine Bange«, wisperte Tomas. »Hier kann Euch nichts geschehen.« Auch Julius, der im Publikum saß, nickte ihr ermutigend zu.
Sophies Blick wanderte wieder zu den Assessoren. Die Richter mit den schwarzen Umhängen, den weißen Spitzenjabots und den rundkrempigen Hüten, die geschäftig in ihren Unterlagen blätterten, schüchterten sie ein. Tomas hatte am Morgen noch einmal erwähnt, dass sie in vielen Revisionsprozessen Hexen für unschuldig befunden hatten. Hoffentlich richteten sie sich in Sophies Fall nach der Ansicht von Bürens, der nach den Vorfällen auf seinem Gut sicher nicht mehr so leichtgläubig war! Doch gleich, was die Männer über Hexen dachten – es würde ihnen nicht gefallen, dass eine Ehefrau ihren Gatten verlassen hatte.
Endlich räusperte sich der Kammerrichter, und die Assessoren legten ihre Unterlagen aus den Händen. Einer von ihnen, der ganz links saß, griff sich an die Wange. Sie war geschwollen, vielleicht hatte er Zahnweh. Er hatte sich auch nur notdürftig rasiert.
Von Büren klopfte auf den Tisch. »Es wird das Begehren der Sophie von Palandt gegen ihren Ehegatten Marsilius von Palandt verhandelt, welche beide hierselbst erschienen sind«, eröffnete er die Verhandlung.
Sophie musste an das denken, was Josepha ihr erzählt hatte: wie die Hexen
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