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Die Hexe und der Leichendieb: Historischer Roman (German Edition)

Die Hexe und der Leichendieb: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Die Hexe und der Leichendieb: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helga Glaesener
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Büren, der Präsident unseres Gerichts, hat auf seinem eigenen Gut, das von entsetzlichen Katastrophen heimgesucht wurde, fünfundfünfzig Hexen hinrichten lassen. Seitdem sind die Unwetter zurückgegangen, die Tiere in den Ställen gesunden, es gibt weniger kranke Menschen. Das lässt sich nachweisen. Er hat dafür den tiefen Dank seiner Untertanen geerntet.«
    »Und Edith ist ganz gewiss eine Hexe!«
    »Was wir dem Gericht aber beweisen müssen. Die Assessoren werden genau abwägen.«
    »Das sollen sie ja auch«, sagte Julius. Er stützte die Ellbogen auf den Tisch und rieb sich die Augen und sah dabei erschöpft und unglücklich aus.
    Irmgard wollte nicht mehr in den Garten. Eigentlich war das nicht wichtig, denn es herrschte ein ungemütliches Wetter, und die stundenlangen Sitzungen im Salon mit den Chorälen waren zwar langweilig, aber erträglich. Trotzdem stand Sophie am geöffneten Fenster und starrte sehnsüchtig hinaus.
    Auf der Bank, auf der sie sonst mit Irmgard gesessen hatte, lag eine weiße Schneedecke. Die Winter waren in den letzten Jahren härter geworden. Einer von Vaters Gästen hatte gemeint, das läge an den vier apokalyptischen Reitern, die der Herrgott zum Ende der Zeiten schicken wollte: Pest, Krieg, Tod und Hunger. Die Pest suchte die Städte sowieso regelmäßig heim. Aber die eisigen Temperaturen im Winter mussten jeden Christenmenschen aufschrecken, denn sie hatten, zusammen mit den nassen Sommern, tatsächlich furchtbare Hungersnöte verursacht. Und der Krieg, gemeinsam mit den anderen Plagen, trieb die Todeszahlen in unvorstellbare Höhen. Ganze Landstriche waren schon verödet. Stand vielleicht wirklich das Ende der Welt bevor?
    Sie fuhr zusammen, als Irmgard in ihrem Rücken zu reden begann. »Singt Ihr noch einmal?« Tomas’ verwirrte Schwester hatte in den letzten Tagen schon mehrere Male gesprochen. Offenbar hatte sie über dem betrüblichen Erlebnis, das ihr Leben überschattete, keineswegs den Verstand verloren, sondern nur die Sprache. Und wenn sie die nun wiederfand …
    »Selbstverständlich, gern«, stimmte Sophie zu. »Vielleicht wollt Ihr sogar selbst ein wenig mitsingen?« Sie wandte sich zum Spinett. Da meinte sie im Drehen im Garten eine Gestalt zu sehen. Jemanden, der flink wie ein Geist hinter dem Papageienhaus verschwand. Ihr Herzschlag setzte aus. Hatte sie sich versehen? Nein, durch die Schneeschicht liefen Fußspuren.
    »Wie kannst du nur?«, fragte sie wenig später, als sie dem Mann in die Arme flog, den sie vom Fenster aus beobachtet hatte. Marx zog sie zu sich in die Voliere. Die Vögel flogen kreischend auf, als er Sophie küsste und sie lachend im Kreis schwang. Seine Lippen waren warm und aufregend lebendig. »Bist du mir gram?«, keuchte sie.
    »Weil dich mich in meinem Blut hast liegen lassen, statt jammernd mein Los zu beklagen, und mit dem Mann auf und davon bist, der mich beinahe umgebracht hat? Aber nein. Meine Laster sind Legion, aber Kleinlichkeit gehört nicht dazu.« Er küsste sie erneut, und sie presste sich an den harten Körper. Wenn es hier doch nur ein Bett gäbe. Wenn die Fenster nur weniger groß wären und die Vögel sich auf ihre Stangen begäben und dezent den Blick abwendeten.
    Atemlos entzog sie sich Marx’ Umarmung. »Wie unvorsichtig von dir zu kommen. Marsilius ist in der Stadt. Wenn er dich fände …«
    »Er hat einen seiner Leute vor dem Haus postiert – der Mann ist so unsichtbar wie eine rote Fahne auf weißem Feld.«
    »Dennoch!« Atemlos berichtete sie von Marsilius’ Anschlag auf sie.
    Orlando krächzte aufgeregt.
    »Siehst du? Sogar der Vogel ist entsetzt.«
    Marx lächelte, aber das Lächeln erreichte die Augen nicht. Er machte sich Sorgen.
    »Geh wieder«, bat sie hastig. »Du kannst hier sowieso nichts tun. Julius muss diesen Prozess für mich gewinnen. Nur, komm zurück, wenn ich Henriette habe, denn …« Sie brach ab. Wusste sie überhaupt, was Marx von ihr wollte? Sie erinnerte sich plötzlich an das, was Julius ihr in den letzten Wochen über den Mann, der sie umschlang, erzählt hatte, und einen schrecklichen Moment lang erwartete sie eine abwehrende Antwort. War sie nicht nur ein flüchtiges Abenteuer?
    »Ich hasse es, mich zu verstecken, während du direkt vor der Kanone stehst.« Marx wischte ein von Papageiendreck bekleckertes Tuch von einer Bank, ließ sich darauf nieder und zog sie neben sich. »Hat Julius dir gesagt, dass wir uns getroffen haben? Natürlich nicht, der Idiot! Hör zu …« Er begann

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