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Die Hexe und der Leichendieb: Historischer Roman (German Edition)

Die Hexe und der Leichendieb: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Die Hexe und der Leichendieb: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helga Glaesener
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sie zu dem einzigen Stuhl, der in seiner Behausung zur Verfügung stand. »Ich weiß, ich weiß«, murmelte er. Er wandte sich wieder an Marx, der ihn stumm hatte gewähren lassen. »Du willst also mit mir gemeinsam in die Burg. Das wird nicht gut gehen, wie du schon andeutetest. Selbst wenn dein Gesicht unter einer Kapuze verschwindet, wirst du durch deine wenig demütige Haltung auffallen. Man wird uns entlarven und dich und mich an den nächsten Balken hängen. Und gerade das ist es vielleicht, was der Allmächtige für mich vorgesehen hat. Ach, ich muss sagen, mich befällt eine gewisse Erleichterung. Die Dinge drängen auf eine Lösung hin. Es hat mich erschöpft, in Sünde zu leben. Mein Herr und Erlöser erwartet ein Opfer von mir.«
    »Vielleicht habe ich es nicht ausreichend betont, Ambrosius: Wir planen keinen weihevollen Untergang, sondern wollen ein Kind aus der Burg schaffen.«
    »Gewiss doch«, stimmte Ambrosius höflich zu.
    Sophie hatte sich wieder gefasst. »Aber Ihr zweifelt nicht länger daran, dass Edith eine Hexe ist?«
    »Ich muss es für wahr halten. Mir bleibt ja nichts anderes übrig, denn …«, er seufzte, »ich habe schon vor dir Besuch bekommen. Der Herr bereitet mich auf etwas vor. Und ich beginne, den Weg zu sehen. Er ist steinig, mit Scherben besät …«
    » Besuch? «, hakte Marx nach.
    Ambrosius schlug ein Kreuz. »Wenn es dir nichts ausmacht – ich würde vorschlagen, dass du mir für ein Stündchen in die Hölle folgst.«
    Die Hölle, die er meinte, entpuppte sich als ein weitläufiges, in die Erde gegrabenes Höhlensystem, das aus engen Räumen bestand, die durch noch engere Gänge miteinander verbunden waren. Man erreichte dieses Labyrinth über eine Erdspalte, in der eine Leiter lehnte.
    » Zwergenlöcher nennen die Leute es«, erklärte Pater Ambrosius, der zuerst hinabgeklettert war und gebückt, mit einer Fackel in der Hand, über Sand und Kies voranschritt. »Man sagt, dass es sie immer schon gegeben hat – was bedeutet: so lange die Erinnerung der Bauern zurückreicht. Allein drei oder vier sind in der näheren Umgebung. Aber man hält ihre Existenz geheim. In Tagen wie diesen können Zwergenlöcher über Tod oder Leben entscheiden. Der Krieg, ich muss das nicht erklären.«
    Sophie sah, wie Marx misstrauisch die Wände musterte. Als er mit einem Messer hineinstach, bröckelte Sand hinaus.
    »Ich bitt dich, lass das bleiben«, murmelte Ambrosius, ohne sich umzusehen. »Wenn wir noch ein Stück weiter sind, werdet Ihr erkennen, dass die Bauern dieses Zwergenloch als Zufluchtsort eingerichtet haben, für den Fall, dass die Soldateska, Gott behüte, bis in diesen Landstrich kommt.« Nach einer Biegung erweiterte der Gang sich plötzlich zu einer kleinen runden Kammer mit Bänken aus Erde, auf denen vier, vielleicht vier bis fünf Personen sitzen konnten, wenn sie zusammenrückten.
    Ambrosius wies auf einen Sack, in dem sich Getreide befinden mochte, und auf mehrere kleine Fässer. Einige Decken lagen gefaltet auf einem Stapel. Keine guten natürlich, sondern fadenscheinige, die ihre besten Tage hinter sich hatten, in der Not aber vielleicht die Kälte erträglicher machen würden.
    Der Gang verengte sich wieder. Ambrosius drehte sich zu ihnen um. Das Licht seiner Fackel huschte über Wände aus gelber Lehmerde. »Die Arme haust in dem Raum, den ich Kapelle nenne, weil die Bauern dort ein Kreuz aufgehängt haben«, raunte er. »Sie weigert sich, ihn zu verlassen. Immerfort stiert sie auf das Kreuz. Was gewisslich ein Zeichen ist, dass Gottes Funke immer noch in ihrem Herzen brennt, aber es ist trotzdem unheimlich.« Er bückte sich unter einem Torbogen hindurch, der durch Holzstämme abgestützt wurde. Dann hatten sie die Kapelle auch schon erreicht und erblickten ihre bedauernswerte Bewohnerin.
    Ambrosius hatte Marx und Sophie schon vorbereitet: Vermutlich würde das Weib in Geheul ausbrechen. Sie würde spucken und kratzen, wenn man ihr zu nahe kam. Sie würde dem Herrn fluchen oder ihn anrufen – je nachdem. Und sie würde, falls sie etwas in die Hand bekäme, was sich als Waffe eignete, gefährlich werden. Das Letzte war nur eine Vermutung, denn angetan hatte sie ihm noch nie etwas. Aber man konnte sich ja denken, was im Kopf eines Menschen vor sich ging, der von bösen Geistern besessen war.
    Doch zunächst einmal geschah nichts von dem, was Ambrosius prophezeit hatte. Josepha, die auf dem Boden hockte, rührte sich nicht, als sie die Kapelle betraten. Einzig ihre

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