Die Hexe und der Leichendieb: Historischer Roman (German Edition)
junger Bursche mit einer blauen Augenklappe, unter der Eiter getrocknet war.
»Is er nicht!«
»Is er doch. Is aber egal. Wallenstein hat die Kacke dampfen sehen, und da is er in den Sattel und höchse …« Der Mann war zu betrunken, um das Wort über die Lippen zu bekommen. »… und selbs an die Spitze … neben dem Fähnrich …«
»Blut ist geflossen«, erklärte ein Mann mit einem Armstumpf tonlos.
»Er hat den Schweden vom Pferd gehauen …«
»Nein, geschossen! Mann, einfach weggeblasen! Aber nich Wallenstein. Der war doch ganz woan…«
»Nichts – das war Wallenstein. Wallenstein hat den Winterkönig zur Hölle geschickt. Ein Hoch auf unsern Führer!«
Jost, der ebenfalls auf der anderen Tischseite saß, langte über den Tisch und ergriff mit glitzernden Augen Marx’ Arm. »Kroaten sind hinter die schwedischen Linien und haben die Pulverwagen gesprengt, heißt es! Mann, das sind Teufel!«
»Idiot! Warst du dabei?«, brüllte der Mann mit der Schmarre ihn nieder. »Das Pferd des Königs hat die Wende gebracht. Streiff. Is durch das Schlachtgetös geirrt, ohne seinen Herrn. Unsre Männer ham’s gesehen. Das war die Wende. Das Pferd ohne Reiter …«
»Blut ist geflossen!«, murmelte der Krüppel.
»… hat Wallenstein die Schweine, die Deserteure, erschossen …«
»Blut ist geflossen!«
Je lauter sie schrien, umso ruhiger wurde Marx. Irgendwann war er völlig verstummt und beobachtete nur noch die Männer, die trunken von Wein, Begeisterung und Rührung durcheinanderbrüllten.
»Ist der Krieg nun vorbei?«, fragte Sophie ihn flüsternd.
»Ich weiß es nicht. Ich habe keinen Schimmer.«
»Und?«, fragte sie, als sie Stunden später im hintersten Winkel einer Scheune ihre Kleider gegen eine Männerhose, Stiefel, ein weißes Hemd und ein Fellwams tauschte, »hast du etwas von Conrad erfahren?«
Marx stand so vor ihr, dass seine Gestalt die ihre verdeckte. Er hatte ihr die Männerkleidung übergeben, weil er meinte, dass die Zeiten nun, da der König der Schweden tot war, noch unsicherer werden würden. Was jetzt an regionalen Konflikten losbrach, ließ sich gar nicht abschätzen. Da hatten Frauen auf den Straßen nichts zu suchen. Sie sah, dass er die anderen Kerle, die mit ihnen im Anbau des Roten Hauses übernachteten und schnarchten oder sich stockbetrunken mit den Herbergshuren im Stroh wälzten, im Auge behielt.
»Marx?«
»Ich habe ihn in Herbede erwischt. Aber auskunftsfreudig war er immer noch nicht. Er sagte, er hat Heinrich geschworen, Stillschweigen über das zu bewahren, was der ihm anvertraute. Taramtatam mit pochendem Herzen … Kinder eben …«
»Du sprichst so kalt.«
»Warum Feuer anfachen, wenn sowieso schon alles in Flammen steht?«, fragte Marx dürr.
Sophie knüpfte die Schnüre am Fellwams fest. »Es tut mir leid«, flüsterte sie, als sie aufstand. »Du hast Heinrich sehr geliebt, nicht wahr?«
Marx küsste sie, statt zu antworten.
»Und was hat Conrad nun preisgegeben?«
Marx zog sie hinab in das Stroh, das er mit einer dünnen, löchrigen Decke in eine Bettstatt verwandelt hatte, und schlang die Arme um sie. »Zum einen: Heinrich war ein schwärmerischer Tollkopf. Er hatte sich tatsächlich bis über beide Ohren in diese Nonne verliebt und war bereit, dafür alles zu geben.«
»Ist das Tollheit?«
Marx vergrub sein Gesicht in ihrem Haar. »Der wichtige Punkt: Er war bereit, alles zu geben.«
»Und?«, fragte sie ratlos. »Ich meine, wussten wir das nicht schon?«
»Außerdem hat mir Conrad so widerstrebend, dass ich einen Moment fast stolz auf ihn war, verraten, wo ich das schöne Kind finden kann. Nämlich in einem Kloster ganz in der Nähe der Wildenburg. Daher auch der Umweg, den Heinrich auf dem Weg nach Speyer auf sich genommen hat.«
»Hast du sie aufgesucht?«
»Ich wollte, aber ich konnte nicht.« Seine Stimme war in ihrem Nacken. »Ich bin zerrissen, meine Hasardeurin. Marsilius hat schon einmal versucht, dich umzubringen. Ich fürchte, er denkt Tag und Nacht an dich. Und Julius ist klug, aber nicht gerissen – das ist eine Petitesse, die den Unterschied zwischen Leben oder Tod bedeuten kann.«
»Dann lass uns jetzt gemeinsam das Kloster aufsuchen. Es würde nicht viel Zeit kosten.« Sie bot es ihm an – und hoffte, er würde ablehnen. Heinrich war tot, doch was auch immer Marsilius damit zu tun hatte, es würde nicht helfen, Henriette rasch aus der Burg zu bekommen. Zu ihrer Erleichterung war Marx ihrer Meinung.
»Ich weiß, was
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