Die Hexe und der Leichendieb: Historischer Roman (German Edition)
es heißt, in Ediths Händen zu sein, glaub mir. Und wir werden nichts unternehmen, bevor wir Henriette nicht bei uns haben.« Marx küsste sie, als wollte er damit die Schatten, die sich über sie senkten, vertreiben. Einen Moment sah sie wieder den blutigen Gesichtsabdruck auf Marsilius’ Hemd. Sie hörte Ediths Lachen. Ja, sie mussten sich beeilen.
»Aber wie können wir vorgehen?«
ie fanden Ambrosius in der Nähe seiner Behausung. Er stand im Wald, trotzte der Kälte mit nacktem Oberkörper und spaltete einen Holzstamm. Dabei betete er, wobei jeder Axthieb von einem donnernden Amen begleitet wurde. Alles Getier ringsum war bereits vor dem Lärm geflüchtet. Auf die Reiter wurde er erst aufmerksam, als sie in sein Blickfeld ritten. Resigniert trieb er die Axt ein letztes Mal in den Stamm. »Der Herr hat euch gesandt«, stellte er fest, während er sich bemühte, nicht allzu verdrießlich zu schauen.
»Wie schön, das von seinem Diener zu hören«, lächelte Marx. Dann folgten sie ihm zu seinem Haus. Dort angekommen, bereitete Ambrosius ihnen zunächst ein wenig reizvolles Mal aus schrumpligen Äpfeln, die er zusammen mit Hirsekörnern kochte. Während er rührte, erklärte er ihnen, dass der Grund ihres Kommens ihn nicht interessiere, denn er sei, wie sie ganz richtig festgestellt hatten, ein Diener des Herrn, den nur ihr Seelenheil etwas anging, um das es vermutlich nicht allzu gut bestellt war. Dann hörte er sich aber trotzdem an, was Marx von ihm begehrte. Seine Augen wurden immer größer, je mehr er von ihrem Anliegen begriff. Er sollte Marx, der sich in eine Mönchskutte kleiden wollte, in die Wildenburg geleiten.
»Ihn und mich«, fügte Sophie rasch hinzu.
»Nein, mein Herz – dich unter keinen Umständen. Sie werden kein komplettes Konvent in ihre Arme schließen wollen.« Marx lächelte sie an, verbindlicher als Julius, aber nicht weniger entschieden. Dann fuhr er fort, seinen Plan zu erläutern: Ambrosius’ Gegenwart würde ihn vor allzu neugierigen Blicken am Tor schützen, denn der Pater genoss das Vertrauen der Burgleute. Ambrosius würde die Menschen zu einem Dankgottesdienst zusammenrufen, in dem sie den Herrn priesen, dass er die Geißel des schwedischen Heeres von ihnen genommen und den schwedischen Ketzer mit der Keule seines göttlichen Zorns erschlagen habe. Marx würde unterdessen nach Henriette suchen.
»Henriette«, echote Ambrosius dumpf.
»Die Sache wird möglicherweise nicht ganz so elegant ablaufen, wie es sich jetzt anhört. Es könnte sein, dass du sie nicht überlebst.«
Ambrosius strich bei diesen unverblümten Worten den Brei am Topfrand ab und legte den Holzlöffel beiseite. »Warum sollte ich mich dann darauf einlassen?«
Marx legte ihm den Arm um die Schulter – eine vertrauliche, fast liebevolle Geste, die Sophie sonderbar vorkam, den Pater aber lächeln ließ. »Bedenke«, flüsterte Marx, während er den Kopf zu ihm neigte: »Es geht um ein Kind. Ein kleines Mädchen, das sich in einer schrecklichen Lage befindet. Wir alle sind Sünder, Ambrosius. Jedermann und auch du und ich wissen von Stunden, die wir am liebsten ungeschehen machen würden. Aber gibt es auf dem himmlischen Richtertisch nicht eine Waage, auf der die guten und die … nicht ganz so vorbildlichen Taten gegeneinander aufgewogen werden?«
»Manches wiegt vielleicht zu schwer.«
»Der Mut, für eine gute Sache möglicherweise in den Tod zu gehen, hat viel Gewicht.«
Ambrosius stieß einen abgrundtiefen Seufzer aus. Er nahm bedächtig die Hand von seiner Schulter und murmelte: »Lass mich drüber schlafen.« Dann nahm er den Kochlöffel wieder auf, hielt aber inne, als er ihn in den Brei versenken wollte. »Ein Kind, ja?« Eine Zeitlang starrte er in die Luft. Der Brei begann zu brodeln und zu duften, und Ambrosius tauschte den Löffel gegen einen dicken Lappen und hob den Topf von den Kettenzähnen, um ihn auf dem Boden abzusetzen. »Es gibt tatsächlich ein Kind auf der Burg, über das gemunkelt wird.« Ächzend richtete er sich wieder auf. »Als die junge Dame hier ihren Säugling abholte, heißt es, da legte Edith ein anderes Kind in die herrschaftliche Wiege und sich selbst ins Bett der Herrin. Sie sagen in der Burg, dass der Neuankömmling sehr unruhig sei und schlecht trinke. Ganz abgemagert sei die Kleine schon. Und nachts dringe ein jämmerliches Greinen aus dem Raum, dass ihnen vor Mitleid schier das Herz zerreißen will.«
Sophie brach in Tränen aus, und Ambrosius geleitete
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