Die Hexe und der Leichendieb: Historischer Roman (German Edition)
Augen bewegten sich. Sie kniff sie wegen des Lichtes zusammen. »Oh Jungfrau, gütige«, flüsterte Sophie. Dirks Magd sah furchtbar aus. Ihr Gesicht war zerkratzt, der Kopf halb kahl – sie musste sich das Haar in Büscheln ausgerissen haben. Obwohl Sophie den Eindruck hatte, dass sie sie erkannte, zeigte sie weder Freude noch Angst.
Widerstrebend kauerte Sophie sich neben der Frau auf den Boden. Das Kreuz, von dem Ambrosius gesprochen hatte, hing in einer Ausbuchtung in der Wand, die die Form eines gotischen Fensters hatte. Auch hier gab es niedrige Bänke. Eiserne Sporne, auf die man Kerzen gespießt hatte, staken im Boden. Durch die Decke schien ein Luftloch ins Freie gebohrt worden zu sein, das mit einem glänzend-metallenen Gegenstand kaschiert wurde. Sie befanden sich zweifellos im Hauptraum der seltsamen Schutzhöhle.
Sophie schreckte zusammen, als Josepha sich plötzlich an sie hängte. Die Frau stank fürchterlich. Überall lagen Fäkalien, als hätte sie es nicht mehr geschafft, sich einen Ort für die notwendigen Geschäfte zu suchen oder gar dafür ins Freie zu gehen. Sie rieb ihre Wange an Sophies Schulter, als könnte sie so etwas Fürsorge einsaugen. Abgestoßen und mitleidig zugleich ließ Sophie es geschehen. Schließlich fragte sie: »Was ist in Speyer passiert, als du beim Kammergericht gewartet hast?«
Sie konnte das, was Josepha nuschelte, nicht verstehen. »Sprich deutlicher.« Es nutzte nichts. Nicht einmal Wortbrocken ließen sich in dem Raunen ausmachen. Um Josephas Finger hing ein Rosenkranz – der einzige Beweis, dass in ihr noch etwas Menschliches existierte.
Ambrosius sagte: »Ich kenne sie von früher. So eine verständige, zupackende Frau. Sie kam zur Beichte, wann immer sich die Gelegenheit bot. Nicht, dass sie viel zu beichten gehabt hätte, die arme Seele. Und nun? Vorgestern, während ich sie besuchte, hatte sich ein Fuchs in die Gänge verirrt. Sie wurde fast rasend und hat ihn in die Enge getrieben und mit bloßen Händen zerrissen und dabei Ediths Namen geschrien. Seitdem ist sie in diesem furchtbaren Zustand. Aber bevor sich ihr Verstand komplett verwirrte …« Ambrosius wich einen Schritt zurück und bekreuzigte sich, als Josepha ihn plötzlich ansah. »… da schilderte sie die gottlosesten Handlungen, die man sich als Christenmensch vorstellen kann. Edith hatte sie gezwungen …«
»Davon wissen wir«, sagte Marx.
»Es erscheint mir unmöglich, dass Josepha sich solche Ungeheuerlichkeiten ausgedacht hat. Sie hat gesehen, was sie erzählte. Ich bin sicher.«
»Was hast du unternommen?«, fragte Sophie nach einer Pause.
»Ich habe sie, so weit es in meinen Fähigkeiten stand, exorziert und sie durch Gebete erbaut und ihr die Gebote unseres Heilands vorgesagt, um sie zu läutern und zu stärken. Was hätte ich sonst tun sollen? Den Freiherrn Marsilius benachrichtigen, der ihr sicher ein grausames Ende bereitet hätte, ohne seiner Hexe Einhalt zu gebieten?«
Marx beförderte mit dem Stiefel ein stinkendes Etwas ins Licht der Fackel. Es war der Kadaver des Fuchses, man konnte es am rötlichen Fell und einem spitzen Ohr erkennen. Ambrosius bekreuzigte sich ein weiteres Mal.
Und plötzlich brachte Josepha doch etwas Verständliches heraus. »Ich wollte sprechen«, murmelte sie, heiser vom Weinen und Schreien. »Aber die Hexe kam in den Gerichtssaal. Niemand hat sie gesehen außer mir. Wer hätt mich denn schützen solln? Wer hätt mir denn geglaubt? Sie war doch unsichtbar.« Ihr Gesicht war zerfurcht von Angst und Hoffnungslosigkeit.
Sie ließ sich nicht überreden, mit ihnen hinauf ins Freie zu kommen. So saßen sie später wieder zu dritt im Pfarrhäuschen. Es begann in flauschigen, großen Flocken, die am offenen Fenster vorbeiwehten, zu schneien. Sie hatten sich auf dem Bett niedergelassen, mit hochgezogenen Knien, unter sämtlichen Decken, die sie auftreiben konnten, denn es war bitterkalt.
»Und wenn Josepha dem Teufelsbund doch beigetreten ist?«, murmelte Ambrosius, der an Marx’ linker Seite hockte. Er hustete vom Rauch. »Ich kann das mit dem Fuchs nicht vergessen. Sie hat ihn tatsächlich zerrissen. Ich hörte das Genick und die Knochen brechen. Sie hat ihre Zähne in den Kadaver geschlagen. So benimmt sich doch keine Christin. Vielleicht ist sie wirklich zur Hexe geworden.« Er schwieg bedrückt, vielleicht erwog er, den Steinfelder Abt zu informieren, weil ihm die Dinge über den Kopf wuchsen.
»Dann wäre sie doch nicht zu dir gekommen«, sagte
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