Die Hexe und der Leichendieb: Historischer Roman (German Edition)
Sophie. Verstohlen griff sie nach Marx’ Hand.
In dieser Nacht wachte sie etliche Male auf. Sie durfte im Bett des Paters schlafen – er hatte darauf bestanden, denn immerhin war sie die Herrin der Wildenburg, auch wenn jetzt einiges durcheinandergeraten war. Die Männer hatten es sich auf dem Boden bequem gemacht. Ambrosius hatte vor dem Einschlafen noch einmal das Feuer entfacht, nicht nur wegen der Kälte, sondern weil sie das Bedürfnis hatten, etwas zu sehen. Dunkelheit war einfach zu beängstigend nach dem, was ihnen in dem Zwergenloch begegnet war.
Sophie stand in der schwärzesten Stunde der Nacht auf und legte Holz nach, als das Feuer zu erlöschen drohte. Sie musste dabei über die Männer hinwegsteigen und sah, dass der Pater die Nähe seines Schlafgenossen gesucht hatte, um sich zu wärmen. Er lag fast auf ihm. Marx selbst schien unruhig zu träumen. Sie konnte im Feuerschein sein Gesicht erkennen, um das der goldene Kranz seiner Haare lag. Obwohl er schlief, stand zwischen seinen Augen eine tiefe Falte. Er ist gar nicht leichtlebig, wie Julius behauptet, dachte Sophie. Er lässt sich nur nicht gern beim Sorgenmachen erwischen, das ist alles. Wie sie ihn liebte. Und wie sonderbar, dass er sie ebenfalls liebte, wo sie doch das unscheinbarste Weib war, das man sich vorstellen konnte. In allem Unglück ist mir auch ein großes Glück widerfahren, dachte sie und ihr Herz wurde weit vor Zärtlichkeit. Wäre das Bett nur ein wenig breiter gewesen, sie hätte ihn geweckt und zu sich geholt. Stattdessen legte sie die Scheite nach und kroch lautlos unter die Decken zurück. Dann schlief sie auch selbst wieder ein.
Irgendwann bekam sie mit, dass Marx sich erhob. Da begann es schon zu dämmern. Sicher wollte er raus, sich erleichtern. Sie sah aus halb geschlossenen Augen, wie er über den Pater hinwegstieg, und fiel sofort wieder in Schlummer. Kurz dachte sie, dass er sie vielleicht küssen würde, wenn er zurückkäme. Aber das geschah nicht.
Stattdessen wurde die Tür eingetreten.
Wie reagiert man, wenn das Schicksal zuschlägt? Wenn alles, was man seit Wochen befürchtet hat, in einem einzigen lauten Knall wahr wird? Sophie fuhr auf, immer noch halb im Schlaf, während der Lärm sie in die Wirklichkeit riss.
Sie sah Marsilius in der Tür stehen – er war wie aufgepumpt, von ungeheurer Größe. In der Hand trug er sein bloßes Schwert, und der Triumph in seinem Gesicht war ungeheuerlich. Sie hatte sich noch nicht einmal vollständig aufgerichtet, da fuhr sein Schwert schon auf die Menschen nieder, die auf dem Boden lagen. Ein entsetzlicher Schrei erklang. Nein, er hatte niemanden getroffen. Pater Ambrosius, der den Laut ausgestoßen hatte, floh in eine Rumpelecke, von Marx war nichts zu sehen. Marsilius wollte dem Pater folgen, aber jemand – Dirk Wolpmann – fiel ihm in den Arm, rang ihm die Waffe aus der Hand und schrie Beschwichtigungen und Warnungen. Keinen Geistlichen töten, keinen Geistlichen! Sophie versuchte auf die Füße zu kommen. Weitere Männer drängten ins Haus. Wo war Marx? Was hatten sie ihm angetan? Jetzt erst nahm Marsilius seine Ehefrau wahr. Er sprang auf Sophie zu und hieb ihr die Faust ins Gesicht.
Sie wurde nicht ohnmächtig, sondern stürzte nur. Marsilius riss sie wieder in die Höhe. Sie konnte aber nicht mehr hören, was er sagte. Es war, als wäre sie plötzlich ertaubt. Dirk drängte erneut herzu. Er hielt seinen Herrn auch davon ab, sie selbst umzubringen. In seiner Hand lagen Stricke. Er wedelte damit, wohl um Marsilius klarzumachen, was zu tun sei, und schließlich begann er, Sophie zu fesseln.
Sie hörte immer noch nichts. Dirk hatte sie zu Boden geworfen, und sie versuchte vergeblich, an den Stiefeln vorbeizuspähen. Marx … Hatte sie den Namen laut ausgesprochen? Marsilius trat gegen ihren Kopf. Als man sie aus dem Haus schleifte, erblickte sie Pater Ambrosius’ graues Gesicht.
Im Garten war der Morgen angebrochen. Sophie blinzelte gegen das Winterlicht, das grell durch die Zweige der Obstbäume schien. Neben dem Gatter des Pfarrhauses stand Josepha. Die Lumpen hingen an ihr herab, sie sah aus wie eine Vogelscheuche. Ihre Haare standen büschelweise vom Kopf. Sie bewegte die Lippen, doch Sophie hörte immer noch keinen Ton. Trotzdem wusste sie, was die Frau stammelte: Es tat ihr leid, dass sie Marsilius geholt hatte. Aber es war ausgeschlossen, einen Kampf gegen eine Hexe zu gewinnen, nicht wahr? Das musste Sophie doch einsehen. Wenn man dem Weib diente,
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