Die Hexe und der Leichendieb: Historischer Roman (German Edition)
mit düsterer Miene das Naturspektakel begutachtete. »Wir werden zur Sicherheit ein Feuer mit grünem Holz entzünden.«
»Warum das?«
»Für Euren Sohn, Herrin – damit Euer Leib seine Frucht nicht vorzeitig ausstößt.«
»Aber es ist doch noch viel zu früh.«
»Das sag ich ja, Herrin«, meinte Gundula geduldig.
»Aber …« Sophie konnte den Satz nicht beenden. Sie beugte sich vor und übergab sich ein weiteres Mal in den Holzeimer, der neben ihrem Bett stand. Eine grünliche, stinkende Flüssigkeit ergoss sich in das Behältnis. O Himmel, solche Schmerzen! Sie würgte und würgte und konnte nicht aufhören, obwohl ihr Magen inzwischen leer war. Die Schmerzen ließen sie schwitzen, ihr Hemd klebte auf der Haut. Gundula stützte sie und redete begütigend auf sie ein.
»Bei Gewitter sind die Hexen am Werke, Herrin«, flüsterte die mütterliche Frau, als Sophie wieder in den Kissen lag. »Die rufen solche Unwetter herbei, wenn sie einer Schwangeren die Leibesfrucht abtöten wollen. Aber Ihr braucht keine Angst zu haben. Ein Feuer aus grünem Holz wirkt Wunder. Dagegen kommen sie nicht an. Ich werde Euer Kind beschützen!«
Blitze leuchteten auf, und eine ganze Folge von Donnerschlägen erschütterte das Zimmer. Eva wurde von Gundula hinausgeschickt, um das Holz zu holen, und Märthe bemühte sich, den Fensterladen wieder zu schließen. Als Eva zurückkehrte, schichtete Gundula das Holz im Kamin, füllte es mit Zunder auf und setzte es in Brand.
Bald stand dichter Rauch im Zimmer, das Atmen wurde schwer. Sophie presste unter der Bettdecke die Hände gegen den schmerzenden Bauch. Sie musste husten. Alles wurde nur noch schlimmer. »Ich bring Euch von dem Himbeertee«, schlug Gundula vor. Gut, dass die Frauen um sie waren. Aber wo steckte Gesche? War sie nicht ihre treueste Verbündete? Wieder überfiel Sophie ein Krampf.
Als Gundula das Zimmer verlassen hatte, begann Märthe von einer Wetterglocke zu erzählen, die in ihrem Heimatdorf geläutet wurde, wenn ein Gewitter die Weizenernte bedrohte. »Der Klang der Glocke hat die Wolken wie Kiesel das Wasser auseinandergetrieben, ich habe es selbst gesehen«, flüsterte sie und zog Eva, die ängstlich an den Nägeln kaute, zu sich heran. »Am Palmsonntag haben wir eine halbe Nacht geläutet, und wenn dem einen Glöckner der Arm erlahmte, hat der nächste zugegriffen. Wer nicht läutete, hat den süßen Herrn Jesus und die Mutter Gottes und die heilige Barbara um Beistand angefleht. Als das Gewitter seinen grausamen Höhepunkt erreichte, sahen einige von uns, die am Fenster standen, mit eigenen Augen zwei Hexen zwischen den Wolken reiten – wie Maiden bei einem Tanzvergnügen. Sie ritten nicht auf Besen, nein, es war der Böse selbst, der die beiden an seinen Händen hielt. Man konnte seinen Pferdefuß glitzern sehen, wenn ein Blitz die Nacht erhellte.«
Eva entschlüpfte ein heiserer Laut. Trotzdem lauschte sie Märthe mit großer Spannung. Gundula, die mit dem Tee zurückkehrte, setzte den Becher ab, bekreuzigte sich und begann die Spalte zwischen den Holzläden mit einer Decke zu verstopfen. Der letzte Blitzschein, der ins Zimmer drang, erhellte die Wiege. Das weiße Federbett leuchtete auf. Dann verschwand die Wiege wieder in der Dunkelheit des Zimmers.
»Wo ist Gesche?«, wollte Sophie mit dünner Stimme wissen.
Die Frauen antworteten nicht, und sie sank mit einem Schrei in die Kissen zurück.
»Oh Jungfrau, Mutter Gottes, wach auf, mein Kind. Nun wach schon auf!« Die Stimme, die Sophie aus einem Alptraum holte, bohrte sich in ihren Kopf. Jemand schüttelte sie. Gesche. »Mädelchen, nicht schlafen, komm zu dir!«
Sie schaffte es, die Lider zu heben. Eine Welle der Erleichterung durchflutete sie, als sie das platte Gesicht und den braunen Zopf erblickte. Die Magd hatte sich über sie gebeugt und starrte sie in einer Mischung aus Besorgnis, Wut und abgrundtiefer Erleichterung an.
Sophie setzte sich auf. Ihre Magenkrämpfe waren verschwunden. Sie war völlig verschwitzt, aber sie hatte keine Schmerzen mehr. Allmählich entspannte sie sich. Im Zimmer war es wieder hell geworden, und wenn nicht der Geruch nach kaltem Rauch in der Luft gehangen hätte, hätte man annehmen können, dass sie das Gewitter und die Erzählungen über die Hexen nur geträumt hatte.
Die Hexen! »O Himmel, mein Kind!« Sie strampelte die Decke beiseite und betastete ihren flachen Bauch. Gesche lächelte beruhigend. »Ist immer noch in Eurem Bauch, das Kleine – da habt
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