Die Hexe und der Leichendieb: Historischer Roman (German Edition)
Ihr Glück gehabt, und das Glück hat darin bestanden, dass Ihr in Gundula ’ne Frau an der Seite hattet, die weiß, wie man dem Hexenpack die Stirn bietet.«
»Wo ist sie denn hin?«
»Ich habe sie rausgeschickt, als Euer Fieber sank und Ihr eingeschlafen seid. Ist ’ne eine prächtige Hebamme, hab ich ja gesagt, aber sie macht einen reinweg verrückt mit ihrem Geschwätz. Die andern hab ich auch rausgeworfen.«
»Sie hat grünes Holz verbrannt.«
»Sehr vernünftig. Grünes Holz gibt Kraft.«
»O Gesche …«
Die Magd ging zu einem Tischchen und holte ein Glas Wasser, das sie Sophie zu trinken nötigte. Dann schlug sie ihr Kissen auf, und schließlich sagte sie: »Fangen wir also an, dem Dreck auf den Grund zu gehen. Was habt Ihr gegessen?«
»Bitte?«
»Gestern. Zu Euch genommen.«
»Nichts. Ich meine … Ich habe gegessen, was jeder gegessen hat. Aber kein Fleisch, jedenfalls kein faules.«
»Und getrunken?«
»Nur den Tee für das Kind.« Ihr dämmerte, worauf Gesche hinauswollte, und ihr Magen krampfte sich noch einmal zusammen, jetzt aus Angst.
»Diese Nacht kam von den Hexen«, sagte die Magd düster, »und eine Hexe lebt auch in der Burg, und sie ist Eure Feindin, und Hexen lieben es, mit Gift zu hantieren. Habt Ihr wirklich nur den Himbeertee getrunken?«
Sophie nickte.
»In den Tee was reinzutun würde sie sich nicht trauen. Der Sud kommt aus der Küche und wird dort getrunken wie Wasser. Er reinigt das Blut und macht, dass man besser scheißen kann. Wer hat ihn Euch gebracht?«
»Gundula.«
»Die ist brav.«
»Und Brei habe ich gegessen. Den hat Eva gebracht«, fiel Sophie ein.
»Hm.«
»Wo bist du denn gewesen?
Gesche rieb sich mit den Händen die müden Augen. Erst jetzt sah Sophie, wie erschöpft die Frau aussah. »Ich war in heiliger Mission unterwegs, will ich mal sagen, denn ein unschuldiges Kindlein und seine Mutter vor den Mächten des Bösen zu schützen ist wahrhaftig eine heilige Angelegenheit. Seid Ihr wieder auf dem Posten?«
»Ich glaube schon.«
»Dann steht auf. Das Bett ist die Tür ins Grab. Ihr müsst Euch bewegen.«
Sophie war zu matt, um zu protestieren. Sie ließ sich von Gesche aufhelfen und kletterte die beiden Stufen hinauf zur Fensterbank. In tiefen Atemzügen sog sie die Luft ein, die nach dem Gewitter kühl und rein war. Sie hatte die Nacht und fast den ganzen Tag verschlafen. Die Sonne berührte die Dächer der Vorburg und spiegelte sich in den Pfützen. Sie wollte die Hand auf den Fenstersims legen – und zuckte zurück. Entgeistert starrte sie auf den feuchten Erdfladen, der die Mauerkante bedeckte.
»Schon gut«, beruhigte Gesche sie. »Der ist von mir.« Sie lachte über Sophies ratloses Gesicht. »Das ist kein normaler Dreck, Kindchen. Es ist geweihte Friedhofserde. Wenn man mit den Kräften des Bösen zu tun hat, gibt es nämlich nichts Besseres. Davor scheuen sie zurück. Darin steckt Gottes Segen mehr als irgendwo sonst, weil die Erde ja hundertfach geweiht wird.«
»O Gesche!«
»Was hilft es, die Augen zu verschließen? Um die Sprache der Söldner zu benutzen: Man kann sagen, die Englein werden mich schützen, aber besser ist, man packt sich die Muskete. Kommt, Herrin, wir gehen raus an die frische Luft. Es gibt noch mehr, was ich Euch erzählen muss, aber wir nutzen die Gelegenheit gleich, um zu zeigen, dass der Anschlag auf Euch misslungen ist!«
Schon auf dem Weg durch die Tore begann Gesche mit ihrem Bericht. »Zum Ersten: Edith, dieses durchtriebene Biest, ist weg. Sie hat sich seit Tagen nicht mehr in der Burg blicken lassen. Und das ist sicher Kalkül, denn sie wollte ihre Weste rein haben, wenn Ihr sterbt und mit Euch der Erbe des Herrn. Sie hat Euch Gift einflößen lassen, das steht für mich …«
»Wenn ich sterbe …«, echote Sophie schwach.
»Na, na, noch isses ja nicht so weit.« Gesche drückte tröstend ihre Hand. »Ich hab mich in ihrer Kammer umgeschaut, gestern früh, bevor die andern aus den Federn sind, und hab … Wollt Ihr Euch auf die Bank setzen, Kindchen? Dort drüben?«
Sophie folgte der Magd durch das Gesindedorf zu einem Bänkchen aus einem Baumstamm, das sich die Dorfbewohner an den Weg gestellt hatten. Die Luft war schwer von Blumendüften, Tausende Blüten sprenkelten das Land. Sie sah, wie eine Frau ihren Kindern mit einem Lappen den Schmutz von Gesichtern und Händen wusch, um sie sauber für die Abendmahlzeit zu machen. Wieder wurde Sophie bewusst, dass sie fast einen ganzen Tag wie
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