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Die Hexe und der Leichendieb: Historischer Roman (German Edition)

Die Hexe und der Leichendieb: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Die Hexe und der Leichendieb: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helga Glaesener
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entgegen, und Marsilius nahm das Bündel zwischen die Pranken. Eine Tochter. Nur eine Tochter. Das hatte er natürlich schon vorher gewusst, aber jetzt wurde es zu einer Realität. Enttäuscht und ohne dem Kind mehr als einen Blick zu schenken, reichte er es zurück.
    »Wie ähnlich Euch die Kleine sieht! Ist Euch das aufgefallen? Sie hat Euren Mund und …«
    »Ja doch!«
    Mutter verstummte, und Marsilius wandte sein Pferd mit einem verächtlichen Lachen zu seiner Frau. Dicht vor Sophie blieb er stehen, nicht im Geringsten bemüht, seine Wut zu verbergen. »Ich hab’s versucht, Sophie. Ich hab deine Empfindlichkeiten hingekommen, obwohl ich’s kaum aushalten konnte. Immer nur nörgeln! Aber das ist jetzt vorbei, verstehst du? Keine Allüren mehr. Du wirst lernen, wer dein Herr ist, und wenn ich’s dir mit der Peitsche beibringen muss!«
    Mutter erstarrte zur Salzsäule, während Edith lächelnd ein Schleifchen an ihrem Kragen zurechtzupfte.
    »Steigt ein und beeilt Euch«, fuhr Marsilius seine Schwiegermutter an. »Ich will keine Zeit verplempern. Ich erwarte Euch beim Haus.«
    War es der stattliche, burgähnliche Gutshof, der ihn zur Besinnung brachte? Vaters beherrschte, stolze Miene? Oder schlicht die Tatsache, dass sich etliche Männer im Eingangsbereich des Tores beschäftigten, als er ankam? Marsilius zeigte jedenfalls deutlich mehr Höflichkeit und Manieren, als er Vater begrüßte, obwohl sein Gesicht immer noch eisig war. Er ließ sich schließlich sogar zu dem Mahl überreden, das Mutter vorbereitet hatte.
    Mutter hatte darauf gesetzt, dass bei einer gemeinsamen Kutschfahrt und einem leckeren Essen das Eis brechen würde. Aber was mochte Vater im Sinn haben? Es versetzte Sophie einen schmerzhaften Stich, als ihr klar wurde, dass er beschlossen hatte, sie preiszugeben. Er schmeichelte nicht wie Mutter, aber er machte Marsilius auch keine Vorhaltungen, sondern kam ihm mit allem Respekt entgegen, als er ihn in sein Haus bat.
    Sophie saß wie gelähmt auf einer Bank, während im Obstgarten das Essen aufgetragen wurde. Mutter hatte unter einem Sonnendach Sitzgelegenheiten und Tische aufstellen lassen, wobei Letztere mit weiß schimmernden Tischdecken geschmückt waren, damit kein Zweifel an der feinen Lebensart der Familie aufkam. Auf dem Tischtuch lagen vierzinkige Gabeln, die als neueste Mode in Sachen Tischsitten aus Italien herübergekommen waren.
    Marsilius hatte seine Hure zum Rest seiner Begleitung in die Gesindeküche geschickt – den Eklat, sie an die Familientafel zu bitten, traute er sich doch nicht zu. Auch hier hatte Vaters Würde Wirkung gezeigt. Nun saß er seiner Ehefrau gegenüber und platzte beinahe vor Ungeduld. Gierig stopfte er die Köstlichkeiten in sich hinein, die man ihm vorsetzte. Im Gegensatz zu ihr bekam er immer Hunger, wenn ihn etwas aufregte. »Was glotzt du?«, fragte er beiläufig, aber so laut, dass jeder am Tisch es hören konnte.
    »Leg deinem Ehemann noch etwas von den geschmorten Möhren auf«, murmelte Mutter. »Aber das mit der Abreise werdet ihr Euch noch einmal überlegen, Marsilius, nicht wahr? Unsere Hebamme ist der Ansicht, dass Sophie für einen so beschwerlichen Weg noch zu schwach …«
    »Ich hab selbst eine Hebamme«, unterbrach er sie grob.
    »Das weiß ich, aber zu der Frau, die hier ist, hat meine Tochter mittlerweile Vertrauen gefasst, und es ist doch auch die Reise, die …«
    »Ist Euch meine Hebamme nicht gut genug?« Marsilius spuckte einen Knochen aus, der Sophies schweigsamen Vater am Bein streifte, was sicher kein Zufall war.
    »O gewiss, natürlich. Ihr seid verärgert, Marsilius«, entschloss Mutter sich plötzlich zur Offenheit. »Und das begreife ich. Sophie hätte besonnener handeln müssen. Aber sie war verstört. Es war ihre erste Geburt, und sie hatte noch keinerlei Erfahrung und war furchtbar erschrocken. Ich mache mir selbst unentwegt Vorwürfe, dass ich nicht anwesend war, als ihre Stunde kam. Ich wünschte mir allerdings auch, dass Ihr uns Bescheid gegeben hättest, als sich herausstellte, dass Sophie …«
    »Sie hätte fast mein Kind umgebracht!«
    »Bitte«, murmelte Vater. Seine Hand, mit der er das Weinglas hielt, zitterte.
    Ursula rief eine Magd und gab ihr Anweisungen, um Zeit zu gewinnen. »Also gut«, sagte sie dann. »Aber es dauert, meine Tochter reisefertig zu machen. Ihre Wäsche muss zusammengepackt werden. Die für das Kind natürlich auch. Außerdem müssen wir einen Wagen für die Reise herrichten …«
    »Sie

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