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Die Hexe und der Leichendieb: Historischer Roman (German Edition)

Die Hexe und der Leichendieb: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Die Hexe und der Leichendieb: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helga Glaesener
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doch …«, wandte Mutter ein.
    Mit einer gebieterischen Geste, die Sophie völlig neu an ihm war, gebot Vater ihr zu schweigen. »Nun?«, fragte er seine Tochter. Als sie nicht antwortete, küsste er sie auf die Stirn und ging hinaus.
    Mutter, die zurückblieb, brach in Tränen aus. »Wie er sich das vorstellt«, brachte sie weinend hervor. »Dieser Mensch hat doch den Verstand verloren. Sieht er nicht, was für eine Bestie Marsilius ist? Wie er uns demütigte. Vor dem Gesinde! Wie er sich nicht scheute …«
    Sophie hörte nicht mehr zu. Sie sank auf das Bett,
    »Er hat überhaupt kein Maß mehr, der Unmensch!« Mutter wandte sich ab. Sie begann mit zitternden Händen Kleider in einen Beutel zu packen. Dieses flog hinaus, jenes wurde neu hinzugetan. »Dein Vater weiß nicht, was er tut«, hörte Sophie sie jammern.
    »Muss ich wirklich auf der Stelle fort?«
    Mutter schniefte, während sie ein Schleifenband zusammenrollte. »Was wird Marsilius machen, wenn er mit dir allein ist?« Sie nahm das Schleifenband wieder heraus und tat stattdessen eine Börse mit Münzen in den Sack. »Der Mistkerl wird dich umbringen, Mädchen. Ich hab’s in seinen kalten Augen gelesen. Und in den heißen seiner Hure. Was ist nur aus ihm geworden? Vielleicht hast du recht. Vielleicht ist diese Edith wirklich eine Hexe, denn ein Mensch kann sich doch nicht so vollkommen wandeln. O Jungfrau Maria – ich will nicht, dass die nächste Nachricht die von deinem Tod ist.«
    Aus ihrem stillen Weinen wurde ein heftiges Schluchzen. Sie ließ die Arme sinken und hörte auf zu packen. Wieder und wieder fuhr sie mit den Händen über die Augen, als könnte sie damit den Strom der Tränen zum Versiegen bringen. Schließlich drehte sie sich zu ihrer Tochter um, nahm sie bei den Schultern und kniff sie fest. »Aber ich lass das nicht zu, hörst du? Ich habe dich nicht großgezogen, damit ein dahergelaufener Bastard und seine Hexe dich quälen. Weißt du, wo Lucia wohnt?«
    Sophie starrte sie an.
    »Die Tochter meiner Kinderfrau. Himmel, Sophie, du kennst doch Lucia. Sie hat uns etliche Male besucht. Eine kluge, mutige und vernünftige Frau und unserer Familie vollkommen ergeben. Du gehst nicht mit diesem herz- und sittenlosen Kerl. Ich werde das nicht dulden! Lucia besitzt ein Haus in Floisdorf. Dorthin wirst du reiten und warten, bis ich dir Nachricht sende.«
    »Aber Vater …«
    »… wird schon einsehen, dass ich recht habe. Im Grunde will er’s doch auch.«
    »Und wenn Marsilius über euch herfällt?«
    »Lass das meine Sorge sein. So schnell wird aus einem Ei kein Hühnchen. Du reitest zu Lucia und wartest ab, bis ich dir Nachricht sende.«
    »Und Henriette?«
    »Sie ist zu klein für einen so ungewissen Ritt.«
    »Marsilius wird sie mit sich nehmen.«
    »Nur, wenn er sie findet. Ich bringe sie ins Gesindehaus. Er hat sie ja kaum angesehen. Wahrscheinlich wird er gar nicht nach ihr fragen. Du hast doch gemerkt, wie lästig sie ihm ist.«
    »Und wenn er …«
    »Und wenn … und wenn …«, schimpfte Mutter. »Du verschwindest, Mädchen, und zwar auf der Stelle. Geh hinten herum zu den Ställen, sattle dir Gotteswind, die Rappstute, die ist am schnellsten, und nimm den Weg am Wäldchen vorbei.« Sie drückte ihr den Sack in die Hand. »Ich sende Nachricht, sobald ich etwas weiß. Und ich werde dich zurückholen, das schwöre ich dir, Sophie. Wir führen Prozesse. Wir gehen zur heiligen Kirche. Wir zahlen, wenn der Mistkerl sich mit Geld zufriedengibt. Aber wir kriegen dich zurück!« Tränen rannen aus ihren roten, verquollenen Augen, während sie ihre Tochter heftig küsste. Dann schob sie sie zur Tür hinaus.

   s war dunkel, und es war kalt. An vielen Stellen plätscherte Wasser, und aus der Ferne drang ein gleichmäßiges, hohles Klopfen, als hätten sich Spechte in den Bauch der Erde verirrt. Bergleute, vermutete Julius, die Erze schürften. Das gleichmäßige Pongpong ging ihm auf die Nerven. Immer wieder versuchte er sich zu bewegen, was aber wegen der Fesseln an seinen Händen und Beinen kaum möglich war. Die Höhle, in die sie ihn geschafft hatten, war groß – der Fels wölbte sich wie die Decke eines Doms über ihm. Und trotzdem hatte er das Gefühl, kaum atmen zu können.
    Glücklicherweise hatte er an dem Abend, an dem sie ihn entführten, ein gefüttertes Wams getragen. Die Kälte war also erträglich. Auch mit Hunger und Durst kam er zurecht. Nur die Dunkelheit fand er schlimm. Er schloss die Augen, er öffnete sie

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