Die Hexe und der Leichendieb: Historischer Roman (German Edition)
reitet.«
»Was?«
Marsilius riss mit den Zähnen Fleisch aus einem Erpelflügel und schaute seine Schwiegermutter provozierend an.
»Aber … Marsilius, das geht nicht. Sophie ist noch wund. Und außerdem … ein Säugling …«
»Das Kind wird sich daran gewöhnen, dass es keine Prinzessin ist, die in goldene Windeln kackt.«
Mutter beugte sich über den Teller, die Gabel, die sie in die Hand nahm, zitterte. Das Gelächter, in das Marsilius daraufhin ausbrach, war schäbig und gemein. Er war inzwischen angetrunken, das merkte man ihm an. »Keine Sorge, verehrte Schwiegermutter, ich gebe auf meine Gemahlin acht. Sie soll mir doch noch ein Dutzend Kinder werfen, und zwar Söhne, denn ich hoffe, Ihr habt mir kein taubes Ei ins Nest gelegt!« Höhnisch hob er Sophie sein Glas entgegen. »Bringt es zur Ruhe!«, brüllte er im nächsten Moment und schleuderte das Glas auf den gepflasterten Boden.
Die Tischgesellschaft hielt den Atem an. Nur Henriette, die in ihrer Wiege unter einem Pflaumenbaum stand und mit ihrem Schreien den Wutanfall ausgelöst hatte, brüllte unbeeindruckt weiter. »Bringt das gottverdammte Balg fort, Herrgott. Man kann ja sein eigenes Wort nicht verstehen!«
Die Amme kam über den Rasen gelaufen, riss eilig den Säugling aus den Kissen und trug ihn unter leisem Singsang davon. Als Sophie aufstand, um ihr zu folgen, hielt niemand sie zurück.
Sie nahm allerdings nicht denselben Weg wie die Amme, sondern stieg die Treppe zu den Gesinderäumen hinab. Die Küche lag am Ende eines weiß gekalkten Ganges. Es war ein großer Raum mit einer riesigen Kochstelle, in den nur wenig Licht durch ein Fenster oben in der Außenwand fiel. Die Wände waren von Tellerhaltern und Regalen bedeckt. An dem blank gescheuerten Esstisch, an dem sonst das Gesinde die Mahlzeiten einnahm, saßen die Männer aus der Wildenburg.
Edith war nicht unter ihnen, wie Sophie mit einem raschen Blick feststellte. Doch die anderen offenbar vollzählig. Jössele vom Tor … Kaspar … die Brüder Anton und Franz, die im Sommer auf den Feldern die Arbeit der Bauern überwachten … Sie kamen ihr vor wie Geister, die sie aus der Vergangenheit heimsuchten. Alle starrten sie an. Schließlich erhob sich Dirk Wolpmann und trat zögernd auf sie zu. »Herrin?«
»Wo ist Edith?«
»Wer weiß das schon?« Dirk warf den anderen Männern einen schwer einzuschätzenden Blick zu. Dann schob er Sophie in den Flur hinaus. Sie standen einander in dem Gang gegenüber. Man hörte die Schweine aus dem nahen Schweinestall quieken, und es roch nach gekochten Bohnen. Dirk war Marsilius’ Mann. Aber er war auch der Mann, dessen Frau von Edith zugrunde gerichtet worden war. Vielleicht hatte sie sogar seine Kinder umgebracht. Sophie gab sich einen Ruck und stellte ihre Frage. »Was ist in der Nacht geschehen, in der ich verschwunden bin?«
Der Burgvogt schaute zur Küchentür, dann auf den Boden und leckte sich nervös die Lippen.
»Dirk!«
»Wir haben nach Euch gesucht!«
»Wo war Edith?«
»Ich weiß es nicht. Gar nicht in der Burg, heißt es. Sie kam viel später. Der … der Herr war wie von Sinnen vor Sorge. Er hat uns alle aufgescheucht. Wir sind in sämtlichen Kammern und Gängen gewesen, und als die Torwächter schworen, dass Ihr die Burg nicht verlassen habt, sind wir in den Hexenturm gegangen. Aber nur Marsilius und ich. Er wollte niemanden sonst dabeihaben.«
Weil er ahnte, was ihn dort erwarten könnte, dachte Sophie. Er wusste, dass Edith sich in dem verfluchten Turm ihr Reich aufgebaut hat, und vielleicht befürchtete er, dort auf die Leiche seiner Ehefrau zu treffen.
»Was habt Ihr gefunden?«
Dirk hob die Schultern.
»Den Tisch mit den Kerzen? Den Schädel der Katze?«
»Herrin … Alles war wie immer. Der Raum war leer. Auch das Verlies.«
»Du weißt, dass Edith eine Hexe ist.«
Dirks Brust hob und senkte sich. Er widersprach nicht. Was zur Hölle hatte Marsilius gegen ihn in der Hand, dass er ihm trotz allem, was man ihm angetan hatte, diente? War er einfach zu schwach, um sich zu behaupten?
»Wir konnten uns nicht lange aufhalten. Kurz nachdem wir den Hexenturm betreten hatten, war der Teufel los.« Dirk lächelte düster. »Und das meine ich wortwörtlich. Der Diener des Gottseibeiuns drang in die Burg ein.«
»Marx von Mengersen.«
Dirk nickte. »Er kam durch einen geheimen Gang, der ins untere Verließ führte. Er kannte den Durchschlupf, schließlich hatte er lange genug im Verlies gesessen. Und der Böse
Weitere Kostenlose Bücher