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Die Hexe und der Leichendieb: Historischer Roman (German Edition)

Die Hexe und der Leichendieb: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Die Hexe und der Leichendieb: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helga Glaesener
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Jungfrau!«
    »Und alle guten Geister! Der Hexenmeister ist am Werke«, ergänzte Marx ironisch.
    »Was hast du vor?«
    »Was haben wir vor? Du bist zu einem Zauberlehrling geworden, Hänfling. Du stehst jetzt auf der verdorbenen und damit amüsanteren Seite des Zauns, falls dich das tröstet.« Er nahm ihr die Pistole ab, zupfte den Schwefellappen durch eine Öse hinter der Pfeilspitze, hielt das stinkende Tuch in die Flamme und entzündete es. Dann streckte er den Arm. Dieses Mal zielte er kaum. Der Schuss hallte durch die Nacht, der Pfeil flog wie ein flammender Komet über die Schlucht und verschwand in Marsilius’ Kammer.
    »Du setzt die Burg in Brand«, rief Sophie entsetzt.
    »Das wäre reizvoll, aber nur machbar, wenn der Boden mit trockenem Stroh oder anderem Zunder gefüllt wäre. Was leider aus der Mode gekommen ist.« Mit einer flinken Bewegung trat Marx neben sie und legte den Arm um sie. Sie war zu abgelenkt, um sich zu wehren, und starrte – immer noch mit der Fackel in der Hand – zur Burg.
    Marsilius erschien am Fenster. Er hielt ein Kissen vor die Brust und das halbe Gesicht. Trotzdem war es sehr dumm von ihm, sich so zu präsentieren, wo der Pfeil in seiner Kammer doch bewies, dass ein Meisterschütze die Burg im Visier hatte. Dann dämmerte Sophie plötzlich, dass sie selbst, mit der Fackel in der Hand, für ihren Ehemann ebenso sichtbar sein musste wie er für sie.
    Sie wollte etwas sagen, die Fackel löschen, aber Marx packte ihr Handgelenk, drückte das Licht in eine Position, in der es hell ihrer beider Gesichter beschien – und presste seine Lippen auf ihren Mund. Im ersten Moment war sie fassungslos. Im zweiten begann ihr Herz zu rasen. Marsilius’ Küsse waren ganz anders gewesen. Sie hatten Sophie angeekelt. Ihr Ehemann hatte ihr aufdringlich die Zunge in den Rachen geschoben und sie beinahe erstickt. Es hatte sich grauenhaft angefühlt. Sie hatte gar nicht gewusst, dass ein Kuss anders sein könnte.
    Dieser hier war es. Statt hart oder hektisch zu sein – schließlich fand er unter Marsilius’ Augen statt, ganz sicher mit der Absicht, ihn zu reizen –, küsste Marx sie verspielt und zärtlich. Er war eine Provokation, aber zugleich so einladend und auf sie selbst bezogen, dass es sie vollkommen verwirrte. Ihr Herz trommelte. Sie spürte, wie ihr Unterleib zu kribbeln begann und sich zwischen ihren Beinen Hitze ausbreitete. Marx’ Daumen – Herrgott, die Kralle! – liebkoste ihren Nacken. Es ist nicht für mich, hämmerte es in ihrem Kopf. Er will Marsilius treffen. Er benutzt mich. Es gilt gar nicht mir. Und … ich will es auch nicht. Sie versuchte sich zu lösen.
    In diesem Moment drang Marsilius’ Schrei über die Schlucht. Sophie sah aus den Augenwinkeln, wie er vom Fenster verschwand. Sofort ließ Marx von ihr ab. »Da siehst du es, mein Herz«, sagte er leise. »Nun haben wir ihn doch getroffen. Und der Pfeil ging ihm geradewegs ins Herz.« Er nahm ihr die Fackel ab und löschte sie in einer Wasserpfütze, bevor er Sophie in die Dunkelheit zog. »Jetzt hast du’s ihm wenigstens etwas heimgezahlt, würde ich sagen.«
    Sie waren zurück bei den Pferden. »Marsilius wird kommen«, sagte Marx und warf den Sattel auf seinen Schimmel.
    »Ja, und mit ihm die gesamte Burgmannschaft. Mit jedem, der eine Waffe tragen kann! Du … hast ja den Verstand verloren!« Seit wann duzte sie den Mann eigentlich? »Wir müssen fort.« Sie rannte zu ihrem eigenen Sattel, dicht am Rand der Hysterie.
    »Er kommt allein, weil er nämlich nicht ertragen könnte, dass Hinz und Kunz von seiner Schande erfährt.«
    »Sie würden den Mund halten.«
    »Über eine so köstliche Geschichte? Er kommt allein! Nun warte doch!«
    Sophie warf den Sattel auf den Rücken ihres eigenen Pferdes. Sie zog die Gurte an, dann wollte sie die Glut des Feuers austreten. Aber Marx hinderte sie da daran. »Kühlen Kopf bewahren.« Seine Augen funkelten, sie spürte es, obwohl sein Gesicht im Dunkeln lag. Er machte seine Pistole schussbereit, und nach kurzem Zögern nahm sie ihm eines seiner Messer ab. Sie warf einen Blick darauf, dann verbarg sie es in den Falten ihres Kleides. Wenn Marsilius käme, wenn sie irgendeinen menschlichen Laut hörte, würde sie sich in die Büsche schlagen. In der Dunkelheit hätte sie eine Chance. O Himmel, was hatten sie getan? In Gedanken sah sie Marsilius durch die Räume wüten, schreien, das Gesinde aufscheuchen, den Kopf voller Rachegedanken. Er würde sie umbringen!
    Es war

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