Die Hexe und der Leichendieb: Historischer Roman (German Edition)
dass sowohl Conrad als auch Julius Fersengeld gegeben hatten. Was sollte ich daraus schließen?«
»Julius war ebenfalls fort?«
»Beide wie vom Erdboden verschluckt. Und nun, da ich zumindest Julius gefunden habe – oder vielmehr er mich, was mich ebenfalls verwirrt –, ziert er sich. Er erzählt mir hanebüchenen Unsinn über eine Jesuitenverschwörung und … keine Ahnung.«
»Julius würde niemals einen Mörder decken.«
»Aber vielleicht einen liebeskranken Idioten, der ihm im Lauf der Jahre ans Herz gewachsen ist?«
»Ich komme nicht mit.«
»Heinrich war verliebt, das habe ich dir schon erzählt. Was, wenn Conrad in dasselbe Mädchen verschossen war? Heinrich war der reiche Bursche, Conrad der Habenichts. Was, wenn es um Eifersucht ging?«
»Aber warum redet Julius dann immer wieder von dem Brief?«
»Da geht mir die Fantasie aus. Vielleicht hat Conrad Heinrich mit diesem Brief zur Wildenburg gelockt. Dann würde das Schreiben beweisen, dass Conrad an dem Mord beteiligt war, ihn vielleicht sogar in Auftrag gegeben hat.«
»Und Julius will den Brief zurückhaben! Aber warum die Geschichte mit Wallenstein und den Jesuiten?«
»Um mir Sand in die Augen zu streuen? Sophie – Julius ist nicht der naive, rechtstreue Gelehrte, als der er sich gern darstellt. Ich weiß, dass er mit Leuten korrespondiert, die gegen Hexenprozesse und Folterverhöre rebellieren. Zu so etwas gehört Trotz und Verwegenheit. Wer behauptet, dass Hexengeständnisse nichts gelten, steht schnell selbst im Ruf, ein Hexer zu sein. Nach meiner Meinung musste er aus diesem Grund auch die Universität verlassen, an der er lehrte, und in Herbede Unterschlupf suchen – aber das ist nur Spekulation und interessiert mich nicht. Was ich sagen will: Julius denkt flink, und er liebt Conrad. Conrad war der Versponnene, der Bücherheld, mit dem er stundenlang über der lieben Englein Flügelbreite disputieren konnte. Er ist der Sohn, den Julius gern gehabt hätte.«
»Und nun?«
Marx drehte sich zu ihr und strich ihr mit erstaunlicher Sanftheit das Haar aus ihrem Gesicht. »Der Schlüssel ist Marsilius. Er weiß, warum Heinrich ermordet wurde, und er war an dem Mord beteiligt, nach meiner Meinung. Wenn wir ihm das nachweisen können, dann bekommst du dein Mädchen zurück. So einfach ist das – und so schwer. In die Burg kommen wir nicht mehr hinein. Marsilius traut sich nicht hinaus. Wir müssen es also anders angehen, mein Herz.«
»Aber wie denn?«
Erstaunlicherweise hatte er bereits eine neue Idee.
ie Frau rannte durch den Wald. Sie schwitzte, ihr Atem brannte in der Lunge, Schweiß umhüllte sie wie eine säuerliche Wolke. Es gab keinen Grund für die Eile. Niemand verfolgte sie. Aber es war ihr unmöglich, länger als wenige Minuten still zu sitzen. Kaum dass sie nachts die eine oder andere Stunde zur Ruhe fand. Laufen war das Einzige, was half.
Der Wald war ein funkelndes Wunder. Die Sonne setzte glitzernde Pünktchen in das Laub, so dass es aussah, als hätte der Herrgott Säckchen voller Diamantsplitter ausgeschüttet, die an den bunten Blättern kleben geblieben waren. Es roch gut nach frischer, kalter Luft. Vor ihr senkte sich der Boden zu einem flachen Flüsschen. Das eiskalte Wasser spritzte gegen ihre Beine, als sie hineinlief. Ein Schauder lief durch ihren Körper und half ihr, wach zu werden, und einen Moment lang fühlte sie sich wieder ganz wie sie selbst. Sie war Josepha – die Frau, die Dirks Kinder wickelte, mit ihnen schmuste und ihre kleinen Hintern reinigte. Fast euphorisch sprang sie auf die flachen Steine, die das glitzernde Flussbett durchzogen, und ins Wasser zurück. Hinauf und hinunter. Nach zehn oder zwölf Sprüngen war sie wieder am Ufer – und konnte nicht umkehren, denn sie musste weiterlaufen. Warum?
Edith.
Nicht an den Namen denken, hämmerte es in ihrem Kopf, während sie Spinnweben zerriss und ihre Füße in den nassen Schuhen eiskalt wurden. Wenn sie zuließ, dass die Hexe sich in ihren Gedanken einnistete, war sie verloren.
Aber war sie das nicht sowieso? Josepha spürte, wie Angst ihren Kopf verstopfte. Natürlich kannten die Hexen ihre Pläne. Sie wussten alles von ihr. Sie hatten sie durch teuflische Rituale zu einer der Ihren gemacht und blickten vielleicht gerade jetzt durch ihre Augen wie durch Kristalle. Lenkten sie auch ihre Schritte? Nicht dran denken! Das Lager der Räuber lag eine halbe Stunde Weg von ihr entfernt – eine Viertelstunde, wenn sie rannte. Sie würde
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