Die Hexe vom Niederrhein: Historischer Roman (German Edition)
hätte er fast senkrecht nach
oben schauen müssen. Der Bürgermeister warf den Brüdern einen kurzen Blick zu, dann
wandte er sich wieder an den Vater.
»Gestern ist meine Tochter Elisabeth allem Anschein nach in ein kleines,
na ja, sagen wir, Missgeschick geraten. Eure Söhne waren so nett und haben sie vor
herannahenden Pferden gerettet.«
Der Blick des Schmieds verdunkelte sich weiter. Langsam drehte er den
Kopf. »Ist das wahr?«
Die beiden nickten. Ihr Vater schwieg.
»Natürlich«, fuhr der Bürgermeister fort, »müssen die beiden für ihre
Tat entlohnt werden.« Im selben Atemzug griff er in die Innentasche seines Mantels
und holte ein paar Münzen heraus. Doch der Schmied erhob die Hand.
»Nein, danke. Die Burschen haben das gern getan.«
Verwirrt verharrte Dannen einige Sekunden. Innerlich seufzten die Brüder.
Sie hätten das Geld liebend gern angenommen und mit ihren Freunden heute Abend in
der Pinte verprasst. Wie lange hatten sie schon keinen Humpen Met mehr getrunken.
Die viele Arbeit in letzter Zeit und die spärliche Entlohnung, die ihnen ihr Vater
gab, ließen dies einfach nicht zu.
»Ich bitte Euch, nehmt diese kleine Geste …«, doch er wurde von Vaters
tiefer Stimme unterbrochen.
»Nein, danke.«
Einige Sekunden vergingen wortlos. Lediglich das Pfeifen des Windes
durchschnitt die Stille.
Klimpernd glitten die Münzen zurück in die Manteltasche des Bürgermeisters.
Die Männer schwiegen noch immer.
Lorenz schaute an den breiten Schultern seines Vaters vorbei – und
tatsächlich, auch Antonella riskierte einen kurzen Blick aus der Kutsche. Ihre Blicke
trafen sich und Lorenz vergaß für einen Herzschlag das Geld. Er wünschte, dass dieser
Moment ewig dauern könnte.
»Vielleicht …«, mischte sich Elisabeth in das
Gespräch ein, was ihr den fragenden Blick ihres Vaters einbrachte, »… können wir
die beiden Jungschmiede heute zum Essen einladen.«
Verführerisch blinzelte sie zu Lorenz, um ihn von oben bis unten zu
mustern. »Dies ist das Mindeste, was wir tun können, Vater.«
Lorenz war nicht entgangen, dass sie einen Schritt näher an den Bürgermeister
herangetreten war und ihn leicht an der Schulter berührte.
»Nun, vielleicht«, stammelte der. »Wenn Ihr damit einverstanden seid?«,
fragte er den Schmied.
Innerlich jubelte Lorenz. In Gedanken schickte er ein Stoßgebet zum
Himmel, dass Vater dies bejahen würde. Und tatsächlich sagte er zu. Wahrscheinlich
hielt er es für dumm, den mächtigsten Mann des Dorfes zweimal an einem Tag vor den
Kopf zu stoßen.
»Dann ist es abgemacht. Heute in den Abendstunden seid ihr meine Gäste«,
sagte Dannen mit einem gequälten Grinsen und blickte dabei die Brüder an. Lorenz
versuchte noch ein weiteres Lächeln von Antonella zu erhaschen, doch als Elisabeth
und ihr Vater wieder in die Kutsche stiegen, baute sich bereits der Schmied vor
seinen Söhnen auf und strafte sie mit seinem Blick.
»Was ist passiert?«, fragte er drohend.
Maximilian erklärte ihm die Geschichte des vergangenen Tages, wobei
er genau darauf achtete, nichts zu dramatisieren. Mit einem Kopfschütteln ließ der
Schmied die beiden stehen und gesellte sich zu seinem Weib, das mittlerweile herausgetreten
war. Er fasste in kurzen Sätzen die Unterhaltung mit dem Bürgermeister zusammen
und ging in das Haus, um nun endlich zu frühstücken. Maximilian folgte schweigend.
Mit seinen Lederschuhen den Schnee zur Seite tretend, ging Lorenz auf seine Mutter
zu. Zärtlich streichelte sie seine Wange und lächelte warm.
»Warum hat Vater das Geld nicht angenommen?«, fragte er leise.
»Du kennst doch Vater. Er ist ein stolzer Mann.
Manche Dinge auf dieser Welt sind nur durch Gott zu vergelten und nicht durch Gold
und Silber. Außerdem …« Langsam fiel ihr Blick auf den Boden, im festgetretenen
Schnee vor ihrem Haus suchte sie die richtigen Worte, »… gilt der Bürgermeister
nicht unbedingt als gottesfürchtig. Er und Pfarrer Tillmann sind schon mehrmals
deswegen aneinandergeraten. Vater möchte kein Geld von jemandem annehmen, der so
weit von unserem Glauben weg ist«, flüsterte sie. »Und jetzt geh rein und iss etwas.«
Leicht berührte sie Lorenz’ Rücken und führte
ihn in das warme Haus mit dem bereits gedeckten Tisch. Natürlich hatte sie recht.
Lorenz hatte schon einmal mitbekommen, wie der Bürgermeister und der Pfarrer sich
auf dem Markt angekeift haben wie Trunkenbolde, die sich über ein Blatt beim Kartenspielen
stritten. Ihre gegenseitige Ablehnung
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