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Die Hexe vom Niederrhein: Historischer Roman (German Edition)

Die Hexe vom Niederrhein: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Die Hexe vom Niederrhein: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sebastian Thiel
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unbeabsichtigten Schlag Jakobs war die Oberlippe von Gustav seinerzeit geplatzt
und war nie mehr richtig zusammengewachsen. Seitdem lispelte Gustav ein wenig, was
den Spitznamen des wortkargen Jungen verfestigte. Sein dickes, dunkelrotes Haar
schimmerte im Licht der Fackeln noch eine Nuance feuriger und ließ die spitzen Züge
seines sommersprossigen Gesichts ein wenig mehr dem eines Nagetieres ähneln. Tatsächlich
aber schienen Jakob und Gustav seit diesem Ereignis miteinander verbunden. Jedes
Mal wenn Lorenz die beiden sah, musste er an diesen einen Sommer denken. Gott wählt
manchmal komische Wege, um jemanden einen Freund finden zu lassen, dachte er, während
er Ratte die Hand reichte. Einen Kopf kleiner als die Brüder, erwiderte der den
Gruß freundlich und wandte dann sein Wort an die beiden.
    »Habt ihr es gehört?«, wisperte Ratte leise.
    »Es ist ja wohl kaum zu überhören«, tönte Jakob.
    Die vier Freunde ließen ihren Blick über die immer größer werdende
Masse schweifen.
    »Die Leute scheinen von einer auf die andere Sekunde verrückt geworden
zu sein«, sagte Maximilian ruhig, wobei seine schwarzen Haare wie ein Vorhang vor
seinem Gesicht hingen. Lorenz suchte erneut den Blick seines älteren Bruders, doch
in dessen im Schatten liegenden Augen war nicht die geringste Regung zu erkennen.
    Endlich hatte Pfarrer Tillmann die Menge beruhigt und lächelte unentwegt
in die Massen, wobei seine makellosen Zähne ein ums andere Mal aufblitzten.
    »Liebe Gemeinde, hört mich an!«
    Er musste die Worte nicht einmal mehr schreien,
es schien, als wolle nun jeder Bürger die Sätze vernehmen.
    »Unsere schlimmsten Ängste und Befürchtungen sind nunmehr wahr geworden.
Soeben wurde ich unterrichtet, dass Marschall Guébriant die Kaiserlichen Truppen
wenige Meilen vor unserer Stadt versammeln will, um die Armee des Feindes auf flachem
Gebiet zu stellen.«
    Es war wie eine bittere Erkenntnis, der sich jeder bewusst war und
die man nur allzu gern vergessen hätte. Vereinzelte Weiber schauten verzweifelt
in den dunklen Nachthimmel und riefen Gott um Hilfe an, gefolgt von wütenden Schreien,
doch die Mehrzahl der Menschen nahm diese Nachricht ruhig und mit gesenktem Haupt
auf. Die eben noch in den Himmel gereckten Fackeln wurden gen Boden gesenkt, was
den ohnehin dunklen Marktplatz in einen gespenstischen Schauplatz schwindender Hoffnung
und stiller Trauer verwandelte. Nachdem das erste Wehklagen vorbei war, wurde es
ruhig. Die Menschen waren tief in ihren Gedanken oder im Gebet versunken, oder hielten
weinend ihre Angehörigen im Arm. Der Pfarrer brauchte nicht einmal mehr seine Stimme
zu erheben, um auch den letzten Bewohner am hintersten Ende des Platzes zu erreichen.
    »Und wundert euch das? Wundert es euch? Die, die ihr so eifrig an eurem
eigenen Untergang gearbeitet habt? Die, die ihr euch gegen ein gottesfürchtiges
Leben entschieden habt? Wundert es euch?«, zischte er.
    Seine Sätze klangen wie ein einziger Vorwurf. Das vormals engelsgleiche
Gesicht des Geistlichen wandelte sich zu einer Fratze.
    »Jahrelang wehrt ihr euch gegen den Allmächtigen, der nur um Anstand
und Demut bittet. Und was macht ihr? Ihr erzürnt ihn!«
    Die dicke Ader an Tillmanns Schläfe pulsierte im fahlen Schein der
Fackeln, als er mit gereckter Faust weiter auf die Menschen herabsprach.
    »Und nicht nur das! Nicht nur, dass ihr die immerwährende Glückseligkeit
ausschlagt. Nein, ihr beleidigt ihn auch noch, indem ihr euch prügelt und besauft,
rumhurt und stehlt.«
    Sein Blick schien jeden Einzelnen zu treffen.
    »Die Bestrafung ist die einzig logische Konsequenz für eure Unzucht,
Gottes Wille und Vergeltung für eure Tat, für euren Irrglauben.«
    Die vereinzelten Rufe aus der Masse stachen für jeden gut hörbar heraus:
»Was können wir tun? Wie können wir uns schützen?«
    Tillmann schüttelte langsam den Kopf, ließ sich Zeit mit seiner Antwort,
als wolle er sie dafür strafen, dass sie nicht selbst auf die Lösung kamen.
    »Beten, meine Brüder und Schwestern. Bittet, dass der Allmächtige uns
verschont und zeigt euren Glauben im Angesicht des herannahenden Unheils. Ihr müsst
bereit sein zu Demut und Opfern.«
    »Es ist mitnichten eine Bestrafung Gottes.«
    Die Blicke der Menge richteten sich mit einem Mal auf eine kleine,
rundliche Person die das Podest emporstieg. Das Holz knarrte unter den Füßen des
Bürgermeisters, ehe sich die beiden Männer wenige Ellen gegenüberstanden.
    »Nicht Gott hat unser Kempen als

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