Die Hexe vom Niederrhein: Historischer Roman (German Edition)
Schauplatz des Krieges ausgewählt,
es war die strategische Position und das flache Land des Niederrheins, was Marschall
Guébriant dazu bewog, den Feind hier zu stellen.«
Die Männer funkelten sich an, es wirkte, als wäre es noch dunkler um
sie geworden.
»Nur der schwache Geist eines Gottlosen kann mit solchen Behauptungen
hausieren gehen, Herr Dannen«, fauchte Tillmann.
»Herr Pfarrer, ich glaube, Ihr vergesst, mit wem Ihr redet. Das Letzte,
was Kempen braucht, ist jemand, der den Bürgern Schuld und Sühne einredet. Die Stadt
braucht Verteidigung und Vorbereitung auf eine lange Belagerung.« Das Gesicht des
Bürgermeisters war zu einer Maske erstarrt und leuchtete roter als das Feuer selbst.
»Ihr irrt! Das Letzte, was diese Stadt braucht, ist ein Frevler, der
sie weiter vom rechten Weg abbringt.«
Dannen ging noch einige Ellen auf den Geistlichen zu und sprach leise,
doch für alle hörbar: »Und was schlagt Ihr vor, Herr Pfarrer?«
Die Ader an der Schläfe von Tillmann pulsierte. Fast hätte man meinen
können, dass einer von beiden nun den ersten Schlag austeilen würde, so verkrampft
ballten sich ihre Hände zu Fäusten. Das Weiß ihrer Handknochen trat deutlich hervor.
Einige Sekunden lang war Stille, dann wandelte sich die Fratze des Geistlichen wieder
in das engelsgleiche Gesicht.
Milde lächelnd trat er an den Rand des Podiums. »Lasst uns Gottes Willen
leben!«, schrie er der Menge mit weit ausgestreckten Armen entgegen. Die Masse jubelte.
Dannens Blick ging zu Boden, nur um kurz danach einige Schritte auf
die Menschen zuzugehen. »Betet so viel ihr wollt, aber vom Glauben allein werden
keine Mäuler gestopft und keine Feinde zurückgeschlagen. Wir brauchen Nahrung und
Soldaten.«
Auch hier jubelten etliche Menschen.
»Wir müssen eine Verteidigung aufbauen und die Wälle stärken, wir brauchen
Partisanen und Nahrung! Jeder, der sich verpflichtet fühlt, kann sich ab morgen
melden.«
Erneut brandete Jubel auf.
Mit fester Stimme wandte sich Maximilian an Lorenz. »Komm, ich habe
genug gesehen. Unsere Eltern machen sich sicher bereits Sorgen, wir sollten den
Weg nach Hause antreten.«
»Nun wartet«, grollte ihnen die tiefe Stimme Jakobs entgegen. »Wollt
ihr bereits aufbrechen? Es könnte eine lange und interessante Nacht werden.«
Sein spitzbübisches, etwas dämliches Lachen ließ
erahnen, dass er sich bereits mit einem Humpen Met in der Dorfpinte sah. Wie zur
Bestätigung dieses Gedankens nickte auch Ratte eifrig und blickte die Brüder aus
seinen grünen Augen an.
»Tut mir leid, Freunde, aber dies ist nicht der
richtige Zeitpunkt für eine Feier«, entgegnete Maximilian. Er schob Lorenz über
den kleinen Marktplatz und fort von den Menschenmassen, deren Gejohle und laute
Diskussionen noch weit bis in die Stadt hinein zu hören waren. Schweigend gingen
die Brüder in der Dunkelheit nebeneinander. In wenigen Häusern brannten noch Kerzen,
die ihr schummriges Licht auf die matschbedeckte Straße warfen.
»Stehst du zu deinem Wort?«, fragte Lorenz schließlich.
»Zu welchem?«
»Dazu, dass du die Stadt verteidigen willst, wenn es zum Krieg kommt.
Dazu, dass du die Franzosen und die Schweden zurückschlagen willst. Dazu, dass du
kämpfen willst.«
Lorenz wollte diese Worte hart aussprechen, mit der tiefen, festen
Stimme eines Mannes. Doch in seinen eigenen Ohren klang es wie das nervige Gequake
eines Waschweibes. Er achtete genau darauf, den Blick starr auf der Straße zu belassen.
Hätte Maximilian in seine Augen sehen können, hätte er nur Angst und Unsicherheit
gesehen, einen Umstand, den Lorenz allzu gern vermeiden wollte.
»Weißt du, kleiner Bruder. Ein Mann kann viel mehr verlieren als sein
Leben.«
Lorenz verstand nicht, was sein Bruder damit sagen wollte. Absichtlich
wartete er ein paar Augenblicke, in der Hoffnung, dass Maximilian seinem Ausspruch
etwas hinzufügte. Er tat es nicht.
»Soll das heißen, dass du dich melden wirst?«
»Es soll heißen, dass ich alles dafür tun werde, um unsere Familie
zu beschützen. Irgendwann wirst du es verstehen.«
Lorenz nickte.
Maximilian spürte seine Unsicherheit und blieb schließlich stehen.
Auch Lorenz stoppte.
»Ja, ich werde mich morgen freiwillig melden. Aber du wirst es nicht.«
Sein älterer Bruder klopfte ihm etwas zu hart auf die Schulter und setzte seinen
Weg in Richtung der elterlichen Schmiede fort. Einige Sekunden stand Lorenz wie
versteinert in der dunklen Nacht. Der Angst war nun Wut gewichen. Wut auf
Weitere Kostenlose Bücher