Die Hexe vom Niederrhein: Historischer Roman (German Edition)
Antwort. Nach unendlich scheinenden Sekunden
beendete das Knallen der zufallenden Eingangstür sein Warten. Mit verschränkten
Armen stellte sich Bürgermeister Dannen neben die jungen Schmiede. Dicht gefolgt
vom immer noch schwer atmenden Sekretär Baier.
»Die Reiter haben Kunde überbracht. Kommt mit! Die Gemeinde versammelt
sich vor der Kirche.«
Erst sagte Baier die Worte leise und nur an die kleine Gruppe gewandt,
dann weiteten sich seine Augen, als würde ihn eine innere Macht dazu drängen, es
immer lauter hinauszuschreien.
»Kommt alle mit! Wir versammeln uns an der Kirche! Kommt alle mit!«
War es eben noch leises Flüstern und ängstliches Gerede der einzelnen
Grüppchen, so versammelten sich nunmehr immer mehr Leute, die den Weg auf den Marktplatz
antraten und immer lauter in das Geschrei des Sekretärs mit einstimmten. Innerhalb
von wenigen Minuten schien die ganze Stadt auf den Beinen zu sein, um zur Kirche
zu ziehen. Nur die drei Männer blieben wie angewurzelt auf den Treppen des Hauses
stehen.
»Ihr scheint in einem Punkt recht zu haben, Herr Bürgermeister«, murmelte
Maximilian schließlich. »Ein Mensch ist intelligent, viele Menschen sind ein Haufen
von hysterischen Panikern.«
Erst jetzt löste sich Maximilians Versteinerung. Mit langsamen Schritten
reihte er sich in die Masse ein. Nicht ohne verächtlich zu schnauben, trat auch
der Bürgermeister den Weg in das Dorf an. Lorenz wollte seinem Bruder folgen, doch
etwas hinderte ihn daran. Noch in der Bewegung drehte er sich zum Haus des Bürgermeisters
und erblickte hinter einem der oberen Fenster schließlich Antonella, die mit traurigen
Augen auf ihn hinuntersah. Er hob kurz zum Abschied die Hand, ehe Bürgermeister
Dannen ihn aufforderte, sich zu beeilen.
»Komm mit!«
»Ja, Herr!«, musste er ihm beinahe entgegenschreien, um die Masse zu
übertönen. Als er erneut zum Fenster hinaufblickte, war Antonella verschwunden und
mit ihr der Geschmack des guten Essens, das Prickeln des leckeren Biers, die Wärme
des knisternden Kamins und der bezaubernde Blick ihrer tiefen, dunklen Augen.
Das Gesicht in der Dunkelheit der Nacht verborgen, fand Lorenz seinen
Bruder schließlich etwas abseits des großen Holzpodestes. Eigentlich war das Ungetüm
aufgebaut worden, um das Dorf mit Theaterstücken der ziehenden Schausteller zu erheitern.
Heute nutzte Pfarrer Tillmann das Podium, der händeringend versuchte, die aufgebrachten
Massen zu beruhigen. Mit weit ausgestreckten Armen versuchte der Geistliche, das
Wort an die Menge zu richten, doch jeder Laut wurde von den Rufen der Menschen verschluckt,
deren Schreie sich zu einem einzigen zu vermengen schienen. Die hellen Fachwerkhäuser
warfen das lodernde Licht der Fackeln zurück und ließen den Marktplatz in einem
fahlen Rot erscheinen. Nur die Kurkölnische Landesburg ragte aus der Dunkelheit
hervor und vermittelte den Bewohnern einen trügerischen Anschein von Sicherheit.
Erschrocken schüttelte Lorenz den Kopf, als er einen Schlag in den
Nacken spürte. Der Schmerz war nur kurz, reichte jedoch, um ihn für einen Moment
taumeln zu lassen. Sofort drehte er sich um.
»Na ihr Eisenklopper, ganz schön was los hier, oder?«
Aus einem runden Gesicht blickte ihn ein breites Grinsen an. Sofort
erhellte sich Lorenz’ Miene.
»’n Abend, Jakob«, schrie er.
Der riesige Junge drückte die Brüder an seine behaarte Brust, die er
trotz der eisigen Kälte nur mit einer Weste bedeckt hatte.
»Schickes Gewand. Probt ihr für ein Theaterstück?«, scherzte er hämisch.
Jakobs imposante Gestalt übertraf beinahe die ihres Vaters. Sein dunkles Haar wurde
schon lichter und er war in der Stadt eher als Taugenichts verrufen. Seine Arme
waren so dick wie Oberschenkel und die Hände rau und aufgerissen von der Arbeit
auf dem Felde. Trotzdem oder gerade deswegen mochten die Brüder den Hünen, der keine
Prügelei auszulassen schien und den Menschenmengen magisch anzogen.
»Guckt mal, wen ich gefunden habe«, schob Jakob einen schmächtigen
Jungen vor. Lorenz und Maximilian lächelten.
Natürlich. Wo Jakob war, durfte Gustav nicht fehlen. Als ob die beiden
durch ein unsichtbares Band miteinander verbunden waren, verkörperte Gustav all
das, was Jakob nicht war.
»Hallo, Ratte«, sagten sie beinahe im Einklang, wobei die Worte nicht
böswillig oder verletzend gemeint waren. In ihren Kindertagen hatte irgendwer von
ihnen eine Ratte gefangen und die Ähnlichkeit zu ihrem Freund festgestellt. Durch
einen
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