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Die Hexe vom Niederrhein: Historischer Roman (German Edition)

Die Hexe vom Niederrhein: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Die Hexe vom Niederrhein: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sebastian Thiel
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Dorfpinte stand mit weit aufgerissenen
Armen Jakob, der mit gleich zwei Humpen Met in der Hand breit grinste und Gustav
zuprostete. Der Rothaarige lehnte sich mit den Ellenbogen gegen die getünchte Hauswand
und achtete penibel darauf, dass sein Gesicht im Schatten verborgen blieb. Auch
er lächelte und erhob seinen Humpen, als die beiden näher kamen. Aus den beschlagenen
Fenstern der Pinte wehte ihnen die Musik eines Fidelspielers entgegen.
    »So früh schon auf den Beinen?«, fragte Ratte.
    Die Brüder stellten den Karren neben der Kneipe ab und begrüßten ihre
Freunde.
    »Wie jeden Morgen. Aber dass ihr bereits wach seid, wundert mich doch
sehr«, scherzte Lorenz.
    »Immer noch wach!«, grölte Jakob, dessen von Bier benetzter Bart in
der Morgensonne schimmerte.
    »Nun sagt mir nicht, dass ihr ausgerechnet die gestrige Nacht zum Tage
gemacht habt?«
    Jakob lachte so durchdringend, dass man es bis zur Schmiede hören musste.
Danach nahm er einen tiefen Schluck aus dem Humpen, wobei ihm Met aus beiden Mundwinkeln
in Rinnsalen hinunterlief.
    »Dass wir ausgerechnet die gestrige Nacht zum Tage
gemacht haben, hat auch einen Grund«, entgegnete Ratte, der weiter in den Schatten
trat, um sein Gesicht vor der Sonne zu schützen, und ebenfalls einen Schluck trank.
»Immerhin wissen wir nicht, wie lange wir uns noch unseres Lebens erfreuen können.
Man sagt, dass es bis zum Aufmarsch nicht mal mehr zehn Tage dauern wird.«
    Jakob wusste dies mit einem tiefen und herzhaften Rülpser zu bestätigen.
    »Und ihr wollt keine Vorbereitungen treffen?«
    »Das haben wir.« Der rothaarige Junge grinste schelmisch zu seinem
riesigen Freund, der sich an seinem zweiten Humpen zu schaffen machte.
    »Ihr seid gestern einfach zu früh gegangen. Die
Versammlung hatte noch«, sagte Ratte geheimnisvoll und blickte dabei gedankenverloren
in den Himmel, »ihren gewissen Reiz.«
    Jakob gluckerte bei jedem seiner Worte. Es machte den beiden sichtlich
Freude, die Brüder auf die Folter zu spannen.
    »Nun sagt schon«, forderte Maximilian schließlich.
    Ratte nickte, stellte sich gerade auf, als wolle er einen Soldaten
imitieren. »Wir melden uns freiwillig für die Partisanen-Gruppe.«
    »Das ist nicht euer Ernst!«
    »Oh doch, das ist es«, funkelte Ratte, der nun anscheinend für beide
sprach. Jakob begnügte sich damit, gelegentlich zu nicken. »Gestern wurde gesagt,
dass jeder Bürger, der sich freiwillig zur Verteidigung der Stadt meldet, Sold,
Verpflegung und eine Muskete erhält, die nach der Schlacht in seinen Besitz übergeht.«
    Jetzt trat selbst Ratte aus dem Schatten, wobei sein rotes Haar in
dem hellen Licht wie Feuer strahlte.
    »Ihr stellt Rüstzeug her, Max. Du müsstest doch wissen, was so eine
Muskete wert ist.«
    »Gar nichts, wenn du tot bist!«, zischte Maximilian.
    Doch Jakob winkte Maximilians Kommentar wie eine lästige Fliege weg
und lehnte sich nachdenklich zurück. Milde sprach aus dem Gesicht des Hünen. So
hatten die Brüder ihren Freund selten gesehen.
    »Es ist mehr, als ich jemals besessen habe«, sagte
Jakob leise. »Vielleicht können wir beide dann endlich aufhören, uns von Feldarbeit
zu Feldarbeit durchzuhangeln. Vielleicht ein richtiges Handwerk erlernen, so wie
ihr. Vielleicht ein kleines Heim bauen, am Rande der Stadt. Und vielleicht sogar
ein hübsches Weib zur Frau nehmen.«
    Bescheidene und doch unerreichbare Wünsche von
zwei Träumern. Unwillkürlich zog es den Blick der Brüder auf den Boden. Ja, sie
waren dankbar, dass ihr Vater sie das Handwerk lehrte und sie nie frieren mussten
und immer ein Dach über dem Kopf hatten. Wie oft hatten ihre Eltern Jakob und Gustav
für ein paar Nächte bei sich aufgenommen und sie mit Nahrung versorgt, wenn sie
im Winter keine Arbeit fanden. Auch wenn die beiden noch so sehr darauf beharrten,
dass sie glücklich waren, so wussten die Freunde doch, dass es anders war. Wer konnte
ihnen ihre Entscheidung verübeln?
    Als Jakob den zweiten Humpen geleert hatte und ihn scheppernd auf den
Fenstersims fallen ließ, erhellte sich seine Miene.
    »So, Jungs, heute Mittag werden wir uns melden, lasst uns unsere letzten
Stunden in Freiheit noch genießen.«
    Dabei schob er die drei in die beinahe leere Pinte hinein. Eigentlich
sollten Lorenz und Maximilian ablehnen, wie sie es so oft getan hatten, wenn ihre
Freunde schon früh am Morgen die ersten Humpen Met leerten. Vielleicht war es die
Aufregung über die Einberufung, die die Brüder in die Kneipe trieb, vielleicht war
es

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