Die Hexe vom Niederrhein: Historischer Roman (German Edition)
aber einfach der Drang nach einem kühlen Bier, das sie so lange schon nicht mehr
genossen hatten und vielleicht für lange Zeit nicht mehr genießen konnten.
»Erzählt uns mehr über das Angebot des Bürgermeisters«, sagte Lorenz
mit großen Augen, nachdem er sich den Met aus den Mundwinkeln weggewischt hatte.
Ratte lehnte sich weit über den Tisch, als würde er den Brüdern ein
Geheimnis anvertrauen. »Auf Erlass des Bürgermeisters kann sich jeder im wehrfähigen
Alter, am heutigen Tage bis Sonnenuntergang, freiwillig zum Partisanen melden, um
in der bevorstehenden Schlacht gegen Marschall Guébriants Truppen zu kämpfen.«
Als wollte er die Spannung erhöhen, fingerte Ratte ein kleines Döschen
aus der Hose, breitete den Schnupftabak auf dem Tisch aus und zog ihn sich genussvoll
in die Nase.
Jakob wendete angewidert seinen Blick ab. »Ekelhaft.«
»Erzähl weiter«, forderten ihn die Brüder auf.
Noch immer mit seiner Nase beschäftigt, trank Ratte erst mal einen
Schluck Bier, bevor er seinen Bericht fortsetzte. »Die Boten rechnen mit dem Eintreffen
der Truppen in neun bis zehn Tagen. In dieser Zeit wird der Hauptmann der Stadtwache
eine kurze, behelfsmäßige Ausbildung für alle Freiwilligen vornehmen.«
Maximilian und Lorenz nickten eifrig, bereit, jedes Wort aus Rattes
Mund aufzusaugen wie ein Schwamm.
»Die Ausbildung wird in den Abendstunden stattfinden,
sodass man noch seinem Tagewerk nachgehen kann. Kurz vor Einberufung in die Kaiserlichen
Truppen bekommt man eine Muskete ausgehändigt.« Ratte lehnte sich entspannt zurück,
in der Gewissheit, dass ihm die Aufmerksamkeit der anderen sicher war. »Sollte man
natürlich die Muskete nur annehmen und dann türmen, gilt man als fahnenflüchtig,
wird gejagt, gefoltert, erstochen, das Übliche halt.«
Ratte grinste breit.
»Und ihr wollt euch wirklich melden?«, hakte Lorenz ein weiteres Mal
nach.
Beide nickten bedächtig und nahmen einen tiefen Schluck aus den Krügen.
»Max, Lorenz, wir beide wissen, dass die Wahrscheinlichkeit, zu überleben,
mehr als gering ist«, wisperte Ratte. »Aber es ist unsere einzige Chance.«
Jeder Mensch hat andere Gründe, dachte Lorenz. »Wo muss man sich melden?«
»Im Haus des Bürgermeisters. Sekretär Baier nimmt die Meldungen entgegen.«
Sofort wanderten Lorenz’ Gedanken zum gestrigen Abend. Unbewusst zogen
sich seine Mundwinkel nach oben.
»Was grinst du denn so doof wie ein Esel vorm Abhang?«, brummte Jakob.
»Findest du das lustig?«
Er verpasste Lorenz einen leichten Klaps auf den
Hinterkopf. Dieser verschluckte sich sofort am Bier und hustete in das Gefäß, wodurch
ihm eine Fontäne aus weißem Schaum entgegenspritzte. Schallendes Gelächter durchschnitt
den Raum für wenige Augenblicke, so laut, dass die wenigen Gäste sich kopfschüttelnd
zum Tisch umdrehten und die Musik für einen Moment aussetzte. Als die Freunde sich
gefangen hatten, wurde Lorenz’ Gesicht wieder ernst.
»Nein, ganz und gar nicht. Im Gegenteil, ich finde euer Vorhaben lobenswert.
Und um ehrlich zu sein, wir wollen uns ebenfalls melden.«
Die Krüge von Jakob und Ratte schnellten fast zeitgleich auf den Tisch.
Lediglich Maximilians Blick verfinsterte sich.
»Ich werde mich melden, du wirst bei unserer Familie bleiben. Hast du das verstanden,
kleiner Bruder?«, keifte er.
»Du bist nicht mein Vater und ich kann machen,
was ich für richtig halte, Max. Daran wird keiner etwas ändern.«
Wie am gestrigen Abend flammte das Funkeln in den Augen der Brüder
auf.
»Wir haben darüber bereits gesprochen, Lorenz!«
»Nichts haben wir! Du hast bestimmt, so wie du es immer tust!«
Ein weiteres Mal drehten sich die aufgebrachten Gäste um, zumindest
so lange, bis Jakob sie anraunzte. »Was ist los? Kümmert euch um euren eigenen Kram!«
Sie warteten einen Moment, bis die Fidel von Neuem anfing zu spielen.
»Hört mal, ich möchte mich nicht in eure Angelegenheiten einmischen,
aber ihr solltet euch beide nicht melden.« Rattes Stirn lag in Falten und seine
Augen verrieten, dass jedes seiner Worte gut bedacht war.
»Ihr habt hier ein Leben, eine Familie, eine Zukunft
oder zumindest eine Chance darauf. Ihr solltet das alles nicht einfach wegwerfen,
um eurem Geltungsdrang nachzugeben.«
Bei Rattes schmächtiger Statur und dem nicht gerade blendenden Aussehen
vergaßen die Brüder manchmal, dass er eigentlich ein kluger Kopf war. Die Mutter
hätte ihn für diese Aussage umarmt.
»Ich werde mich melden«, brummte Maximilian
Weitere Kostenlose Bücher