Die Hexe vom Niederrhein: Historischer Roman (German Edition)
entgegen.
»Du willst um diese Zeit aus der Stadt raus? Wie kommen wir an den
Wachen vorbei?«
Doch Antonella drehte nur kurz ihren Kopf und zog ihn weiter auf das
Tor zu. Kurz bevor sie die Stadtwache erreichten, zog sie langsam ihre Kapuze vom
Kopf. Ihr braunes Haar glänzte im Schein der Fackeln.
»Ihr seid es«, murmelte einer von ihnen.
Sofort ließen die Männer ihre Waffen sinken und
trollten sich unter das schützende Dach des Tores. Mit gierigen Augen baten sie
ihr sofort einen Platz an der Feuerstelle an. Wortlos gesellte sich Antonella zu
ihnen und kramte in den Seitentaschen ihres schweren, gegerbten Rockes.
»Der Ausschlag meiner Frau ist viel besser geworden«,
sagte ein älterer Soldat mit dickem Schnauzbart dankbar. »Doch habt Ihr noch etwas
gegen diese ständigen Kopfschmerzen?«
Eifrig hob Antonella die verschiedenen Ampullen
ins Licht und studierte mit geübtem Blick die Schriftzüge. »Diese Blätter soll sie
in Tee aufkochen und dreimal täglich trinken«, sagte sie leise, während sie dem
Mann ein Behältnis mit graugrünen Blättern überreichte. Wie einen Schatz nahm er
es mit beiden Händen entgegen. Anschließend trat ein Junge mit Milchgesicht und
gesenktem Blick an sie heran. Er sah bei Weitem jünger als Lorenz aus, war beinahe
noch ein Kind. Der Junge räusperte sich und blickte sich verlegen um.
»Habt Ihr, wonach ich gebeten hatte?«, quiekte er hell.
Nickend drückte Antonella ihm eine Phiole in die Hand. »Tragt es vor
dem Zubettgehen auf. In wenigen Tagen müsste es weg sein.«
Sich überschwänglich bedankend führte er die beiden in einen Nebenraum
des Tores und öffnete mit tiefer Verbeugung eine massive Tür, dann eine weitere,
die schließlich aus der Stadt führte. Verwundert blickte sich Lorenz um, als sie
das Gemäuer verließen. Sich erst heftig im Schritt kratzend, öffnete der Junge sofort
die Phiole und roch an dem Gemisch, dann schlug er die Tür zu.
»Es ist nicht das erste Mal, dass du dich nachts aus der Stadt herausschleicht,
oder?«
»Nein«, antwortete sie lächelnd.
»Du scheinst den Soldaten eine große Hilfe bei …«, Lorenz drehte sich
kurz zur Stadt, »… bei ihren Problemen zu sein.«
»Nun, siehst du, viele können sich keinen Arzt leisten. Die Kräuterkunde
ist meist die einzige Hilfe, die sie bekommen. Auch wenn sie sehr verrufen ist.«
»Wie meinst du das?«, wollte Lorenz wissen.
Gemeinsam stapften sie auf den Pfad, der in wenigen Meilen zur nächsten
Gemeinde führte. Der Schnee türmte sich mittlerweile einige Zoll, so mussten sie
ihre Knie bei jedem Schritt anheben.
»Nun, einige Menschen sehen nicht gern, dass man sich mit solchen Dingen
beschäftigt«, sagte sie leise in die Nacht hinein.
»Wie der Bürgermeister, nehme ich an.«
Sie nickte.
»Ist das der Grund, warum du dich nachts herausschleicht, um deiner
Leidenschaft nachzugehen?«
Lorenz sah sie an. Sie ließ sich Zeit mit ihrer Antwort.
»Man sagt, dass die Kräuterkunde das Handwerk der Hexen sei«, flüsterte
sie, als ob die beiden auf den Feldern nicht die Einzigen weit und breit wären.
»Viele Menschen haben diesen Glauben, dabei bringt sie weder Verderben noch den
Tod. Im Gegenteil, sie kann dazu beitragen, den Menschen zu helfen und sie zu heilen.«
Er nickte verstehend. Aber auch Lorenz hatte die
Gerüchte gehört. Kräuterkunde wurde als schwarze Magie verschrien, als Handwerk,
das nur eine Hexe beherrschen konnte.
»Hast du von Anna aus Crefeld gehört?«, fragte sie schließlich, als
sie ein kleines Wäldchen erreichten.
»Natürlich.«
»Armes Ding. Hat so vielen Menschen geholfen mit ihren Mixturen und
ihrem Wissen, und was war der Dank dafür?«
Abrupt blieb sie stehen. Verbitterung sprach aus jedem ihrer Worte.
Eine weitere Facette, die er nicht für möglich gehalten hatte. Doch ihre Leidenschaft
für die Kräuterkunde und für die Heilung der Menschen schien ihm beinahe edel.
»Verstehst du jetzt, warum es gefährlich ist, sich offen zu dieser
Art von Medizin zu bekennen?«
Lorenz verstand.
»Dann musst du viel Vertrauen in mich haben, dass du mich nach so kurzer
Zeit mitnimmst.«
Nicht der Hauch eines Windes wehte durch die Nacht, als sie ihn verlegen
anlächelte. Schneeflocken fielen langsam auf ihre Stirn und verwandelten sich sofort
zu Wasser. Inmitten dieser dichten Bäume, auf diesem kleinen, verschlungenen Weg,
nahm sie wortlos seine Hand. Lorenz spürte die Wärme, die von ihr ausging. Der sichelförmige
Mond schickte seinen Glanz
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