Die Hexe vom Niederrhein: Historischer Roman (German Edition)
saß. Der Ladestock sauste in den geraden Lauf und
wurde mit derselben Perfektion wieder herausgezogen. Mit offenen Mündern verfolgten
die Soldaten und die umstehenden Männer das Wetteifern der Brüder. Geübt schütteten
sie genau die richtige Menge an Pulver auf die Pfanne, spannten den Hahn und legten
die Waffe an. Ihre Schüsse fielen beinahe zeitgleich. Zum ersten Mal an diesem Abend
traf einer der Freiwilligen die Strohpuppen. Selbst im Schein der Fackeln konnte
man erkennen, dass beide Kugeln exakt im Kopf der Puppen einschlugen. In der Wolke
aus Qualm gingen die beiden etwas näher an ihre Ziele heran.
»Meiner war genauer«, sagte Maximilian schließlich.
»In deinen Träumen«, konterte Lorenz, als sie die
Waffen abgaben und sich ans hinterste Ende der Reihe anstellten.
»Angeber«, raunte Jakob ihnen noch leise hinterher, als er seine Waffe
in Empfang nahm.
Wortlos hatte der Hauptmann dieses Schauspiel beobachtet. Die Hände
hinter dem Rücken verschränkt, trat er nun auf die beiden zu. »Wer seid ihr?«
Es war abermals Maximilian, der als Erster antwortete. »Die Söhne des
Schmiedes, Herr.«
Kaum erkennbar nickte der Uniformierte. »Die Söhne von Josef Cox?«
»Ja, Herr«, entgegneten beide im Chor.
Die Augen des Hauptmanns verengten sich zu Schlitzen. »War gestern
noch bei mir. Guter Mann, stellt gute Waren her.«
Er wandte seinen Blick wieder zu den Freiwilligen in der vorderen Reihe,
wo Jakob die Muskete gerade mit einer Hand abfeuerte und die Puppe weit verfehlte.
»Ihr werdet ab morgen die Schussausbildung übernehmen, habt ihr das verstanden?«
»Jawohl, Herr Hauptmann.«
Er nickte ruhig. »Ich werde eurem Vater ausrichten, dass er gute Schützen
herangezogen hat.«
Lorenz’ Kopf fuhr sofort zu Maximilian herum.
»Herr Hauptmann?«, stieß sein Bruder hervor. »Ich … wir beide wären
Euch sehr dankbar, wenn Ihr unserem Vater nichts hiervon erzählen würdet.«
Fragend neigte der Hauptmann sein Gesicht zur Seite und strich mit
der Hand über seinen dunklen Ziegenbart. »Er weiß nicht, dass ihr euch zu den Partisanen
der Stadt gemeldet habt, richtig?«
Es dauerte einige Sekunden, dann senkten die beiden ihren Kopf.
»Ja«, stammelte Maximilian. »Wir würden es ihm gern selbst berichten.«
Fast ein wenig amüsiert umspielte zum ersten Mal an diesem Abend ein
Lächeln die Lippen des groß gewachsenen Mannes. »Schneid habt ihr, das muss man
euch lassen. Ich mag es, wenn Männer eigene Entscheidungen treffen. Aber überlegt
euer Handeln sehr genau.« Er schüttelte den Kopf. »Genauso groß wie euer Mut scheint
mir eure Torheit zu sein. Also wenn ich in eurer Haut stecken würde, dann müsste
mich schon der Teufel persönlich reiten, damit ich so einen Mann wie euren Vater
im Unklaren lasse.« Einen Moment blickte er zum Mond, der sichelförmig auf die Männer
herabschien. Er atmete schwer. »Nun gut, kein Wort wird über meine Lippen dringen.«
Erleichtert verbeugten sie sich vor dem Uniformierten. »Habt Dank,
Herr Hauptmann.«
Dann schritt dieser wortlos an den Anfang der Reihe, um die Schützen
zu überwachen.
»Wir müssen es ihm sagen, Max.«
Tief in seinen Gedanken verloren nickte der Bruder. Seine schwarzen
Haare fielen ihm ins Gesicht und bildeten einen Vorhang, der nur erahnen ließ, was
in diesem Augenblick in ihm vorging.
»Ich weiß«, sagte er abwesend.
»Wann?«
Die Blicke der beiden trafen sich. Zum ersten Mal in seinem Leben hatte
Lorenz das Gefühl, dass sein Bruder genauso ratlos war wie er auch.
Den Weg nach Hause über hatten sie geschwiegen. Das Gespräch, was sie
eigentlich hätten führen sollen, verdrängten beide wie eine ungeliebte Erinnerung.
Bedächtig schlichen sie ins Haus. Als sie endlich ihr Zimmer erreicht hatten, ließ
sich Maximilian ins Bett fallen.
»Mir tut jeder Knochen weh. Ich bin froh, dass ich endlich schlafen
kann«, murmelte er noch, halb den Kopf im Kissen vergraben.
»Mhhh«, knurrte Lorenz halbherzig, als er sich
ebenfalls zur Nachtruhe legte. Es dauerte nur wenige Minuten, dann drang ein allzu
vertrautes Schnarchen an seine Ohren. Ein paar Momente wartete er noch ab, dann
schlich er aus dem Zimmer. Seine Kleidung legte er in der Stube an und zog den noch
von seinem Körper gewärmten Mantel über. Es war gar nicht einfach, von der wohltuenden
Hitze der Stube in die Kälte der Nacht hinauszutreten. Kurzerhand warf er sich noch
Mutters grauen Umhang über, den sie immer benutzte, um ihre Besorgungen zu
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