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Die Hexe vom Niederrhein: Historischer Roman (German Edition)

Die Hexe vom Niederrhein: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Die Hexe vom Niederrhein: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sebastian Thiel
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erledigen.
Auch wenn er seine Hände tief in den Taschen vergrub und die Kapuze des Umhangs
über seinen Kopf zog, nistete sich die Kälte des Winters mehr und mehr in ihm ein.
Ruhig fielen die Flocken auf das winterliche Kempen und ließen die Schneemassen
noch einmal ansteigen. Bei jedem Schritt bildete sein Atem Nebel. Jetzt war niemand
mehr auf den Straßen und alle Lichter waren erloschen. Lediglich in den Türmen der
Burg und des Peterstores zuckten noch einige Kerzen. Nur mit Mühe konnte er sich
seinen Weg zum nördlichen Kuhtor bahnen. Um kurz nach Mitternacht kam das Tor in
Sichtweite. Schutzsuchend hatten sich die Soldaten unter die Palisaden gekauert.
Lorenz ließ seinen Blick schweifen und entschied sich schließlich, etwas abseits
in einer Gasse neben der Stadtmauer zu warten. Minuten vergingen. Durch das Schneegestöber
konnte er die Uhr am Kirchturm nicht erkennen, doch es musste nach Mitternacht sein.
Langsam forderten die Anstrengungen des Tages ihren Tribut, und Lorenz ließ sich
erschöpft auf einer Holzkiste nieder. Mit dem Kopf an der Häuserwand angelehnt,
versuchte er seine Augen auf das Tor zu richten. Immer stärker musste er sich befehlen,
die Lider nach oben zu ziehen, doch die Verführung des allzu verlockenden Schlafes
war alsbald stärker und sein Widerstand schwand. Als sich seine Augen langsam schlossen,
war er bereits in die Traumwelt geglitten.
     
    Der Lärm lässt mich schreien. Vor Schmerz werfe
ich meinen Körper nach hinten und presse meine Hände gegen den Kopf. Die Lautstärke
der Rufe ist ohrenbetäubend und mit jeder Sekunde nimmt sie zu. Ich halte diese
Pein nicht länger aus und spüre, wie meine Beine nachgeben, die das Gewicht meines
Körpers nicht mehr länger tragen wollen. Ich stürze auf die Knie. Nur kurz schaffe
ich es, meine Augen zu öffnen und den Blick nach vorn zu richten. Dort erkenne ich
den Ursprung dieses alles übertönenden Molochs. Eine Wand, viele Hektar groß und
mehrere Meilen lang, schreit mich unnachgiebig und erbarmungslos an. Sie ruft mich,
sie ruft meinen Namen, sie fordert mich. Ich will hier weg, will flüchten, nicht
hier sein, doch irgendetwas treibt mich auf sie zu. Mit jedem Schritt erhöht sich
der alles zerreißende Schmerz in meinen Ohren. Ich kann nicht mehr klar denken,
versuche mich zu wehren, mich umzudrehen, doch es gibt kein Entrinnen. Selbst auf
den Knien werde ich weiter auf die Wand aus Lärm und Geschrei gedrückt. Sie tobt,
brüllt, wütet. Der Schmerz in meinem Kopf ist schier unerträglich, und ich sehne
mich nach der süßen Erlösung des Todes. Doch selbst der Tod lässt mich leiden und
foltert mich weiter. Als ich auf die tosende Wand gedrückt werde, habe ich das Gefühl,
in die Verrücktheit abzugleiten. Ich presse meine Hände so stark auf die Ohren,
dass ich vor Schmerzen schreie. Doch die Wand kennt kein Erbarmen. Auch wenn sie
jeden Ton zu verschlucken droht, erkenne ich doch aus der Ferne ein Gekreische.
Ich schaffe es nicht mehr, mich aufzurichten, gekrümmt liege ich in meiner Pein
auf dem Boden. Für einen Herzschlag hat das Gebrüll noch einmal zugenommen, ich
habe das Gefühl, dass mein Kopf explodiert, und bete, dass der Tod nun endlich kommen
möge. Das Schreien findet seinen zerreißenden Höhepunkt in einem einzigen, riesigen
Knall.
    Dann wird es still und Ruhe legt sich über meinen
Geist. Endlich, der Tod.
    Zärtlich flüstert er meinen Namen.
     
    »Lorenz, Lorenz.«
    Ihre Stimme erweckte ihn aus seinem Schlaf. Erschrocken
und mit den Armen rudernd fiel er beinahe von der Kiste.
    »Antonella, ich …«, sagte er, sich die Augen reibend, »… bin wohl kurz
weggenickt. Entschuldige.«
    Ihr Gesicht war unter der Kapuze eines Umhangs verdeckt, lediglich
ihre rehbraunen Augen und einige Strähnen ihres Haares konnte er im fahlen Licht
der Fackeln erkennen. Sie lächelte.
    »Du hast geredet im Schlaf«, flüsterte sie.
    Schulterzuckend sah er sie an. Das war der Anblick, worum er sich den
ganzen Tag gesehnt hatte. Allein ihre Anwesenheit ließen ihn die Tortur des Tages
und die Kälte der Nacht vergessen.
    Zögerlich streckte sie ihm die Hand entgegen. »Bist du bereit, mich
zu begleiten?«
    Lorenz nickte. Selbst in die Hölle würde er ihr folgen.
    Waren am Tag ihre Schritte unsicher, so wirkten
sie bei Einbruch der Nacht fest, beinahe selbstbewusst. Hand in Hand gingen sie
zum Tor. Sofort schreckten die Soldaten hoch und nahmen drohend ihre Hellebarden
in die Hände.
    »Halt, wer da?«, rief es ihnen

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