Die Hexe vom Niederrhein: Historischer Roman (German Edition)
diesem französischen Gesindel stellen würde. Nur allzu gern
würde ich Marschall Guébriant persönlich einen Schuss zwischen die Augen setzen.«
Fast zärtlich streichelte er den Lauf der Waffe. »Doch was passiert, wenn ich falle?
Habe ich nicht die Pflicht, meine Familie zu ernähren? Habe ich nicht die Pflicht,
euch ein gutes Leben zu bieten?« Langsam baute sich der riesige Mann auf. »Ihr seht,
am Tod ist nichts Ehrenvolles. Aber die Erfüllung seiner Pflicht ist es schon.«
Ruhig sah er die beiden an. Bedächtig hatte er seine Worte gewählt
und sie verfehlten ihre Wirkung nicht.
»Außerdem würde sich nur ein Narr zu den Partisanen melden.« Diese
Worte verließen seinen Mund beinahe verbittert, fast traurig.
»Wie meinst du das?«, fragte Lorenz, sich am Wassertrog abstützend.
Schwer atmend rieb sich Josef das Kinn. Sein Blick schnellte nach draußen,
in die von Wolken verhangene Ferne, dort wo Guébriant und seine Truppen mit jeder
Minute näher kamen.
»Es sieht nicht gut aus«, flüsterte er schließlich.
Selten hatten sie ihren sonst so zielstrebigen Vater nachdenklich,
beinahe verängstigt erlebt.
»Weißt du das aus dem Gespräch mit dem Hauptmann? War das der Grund
für deine Niedergeschlagenheit nach der Unterredung?«, hakte Lorenz mit fester Stimme
nach.
»Ich hätte wissen müssen, dass dir dies nicht entgangen ist«, sagte
er mit weichem Blick. »Aber ja. Wir müssen einfach zum Allmächtigen beten, dass
er diese Stadt verschonen möge.« Als er diese Worte aussprach, lächelte er gequält.
Lorenz trat ein paar Schritte auf seinen Vater zu, er fixierte ihn
nun wissbegierig. »Vater, bitte sag, was du weißt. Es könnte für uns wichtig werden,
wenn …«
»Warum sollte es für euch wichtig sein? Sag es mir, Lorenz!«, herrschte
er ihn an. Innerhalb von wenigen Herzschlägen wandelte sich sein weicher Blick zurück
in den stechenden, durchdringenden Ausdruck, den Josef sonst immer besaß. »Sobald
die Schlacht beginnt, werden wir uns hier in den Mauern der Stadt aufhalten.« Er
schrie nun so laut, dass es die gesamte Schmiede erfüllte. Die Brüder zuckten zusammen.
»Wir werden beten, dass sie uns verschonen mögen, und notfalls die Stadtwache, so
gut es geht, mit Waffen und Munition versorgen. Dies und nur dies wird eure Aufgabe
sein.«
Er atmete schwer. »Habt ihr beiden das verstanden?«
»Ja, Vater«, sagten die Brüder im Chor.
»Und jetzt, da ihr etwas über Pflicht gelernt habt, könnt ihre eure
Arbeit weiter erledigen.«
Damit war das Gespräch beendet. Als sie sich wieder ihrem Handwerk
zuwandten, tauschten Lorenz und Maximilian einen verstohlenen Blick aus. In diesem
Moment wussten beide, dass sie dasselbe dachten: »Was nun?«
Auch wenn es Lorenz wie eine Ewigkeit vorgekommen war, so hatte dieser
Arbeitstag endlich ein Ende. Das Abendessen verlief ruhig, fast schweigend. Sogar
die Kleinsten spürten, dass sich etwas zusammenbraute. Nachdem sie Mutter beim Abräumen
des Tisches geholfen hatten, machten sie sich auf den Weg zu ihrer Ausbildung. Da
dieser Tag nie wirklich hell geworden war, hatten die Bewohner der Stadt bereits
nach dem Mittagessen begonnen, Fackeln zu entzünden. Es schien, als würde sich das
Wetter der Stimmung anpassen, die nun immer bedrückender wurde. Gemeinsam stapften
Lorenz und Maximilian durch den hohen Schnee, darauf bedacht, nicht allzu viel Kraft
zu verschwenden. Lorenz tat die Kühle des Abends gut, zumindest verdrängte sie die
Müdigkeit seines Geistes, auch wenn der Preis dafür ein ständig währendes Zittern
seiner Unterlippe war. Doch nicht die Kälte der Nacht machte ihm Sorgen, sondern
die Tatsache, dass sie es nicht geschafft hatten, Vater auch nur ansatzweise von
ihren Plänen zu unterrichten.
»Wann sagen wir es ihm?«, fragte Lorenz, sich tief in den Mantel vergrabend.
»Ich weiß es nicht.«
»Wie meinst du, wird er reagieren?«
»Ich weiß es nicht, Lorenz«, entgegnete Max genervt.
»Aber was sollen wir jetzt …«
»Lorenz!«, schrie Maximilian auf. Einige Betrunkene
sahen sich kurz um, nur um sich danach erneut ihren Krügen zu widmen. »Ich weiß
nicht, wie wir es Vater sagen sollen«, zischte er. »Die ganze Zeit schon zermartere
ich mir den Kopf, doch wie man es dreht und wendet, es sieht nicht gut für uns beide
aus.« Maximilian holte tief Luft, seine Stimme wurde ruhiger. »Gott allein weiß,
was passiert, sollten wir es Vater sagen, und wenn wir unseren Dienst nicht antreten,
dann gelten wir als
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