Die Hexe vom Niederrhein: Historischer Roman (German Edition)
fahnenflüchtig.«
»Also müssen wir es ihm sagen. Doch wann ist der richtige Zeitpunkt?«
Maximilian nickte, dann suchte er den Blick seines jüngeren Bruders.
»Wir werden es ihm sagen, gleich morgen früh. Für manche Dinge gibt es halt keinen
richtigen Zeitpunkt.«
Auch wenn der schwierige Teil ihnen noch bevorstand, so fühlten sie
sich beide augenblicklich besser, als die Entscheidung getroffen war. Gemächlich
trotteten sie durch das Peterstor, dann an der Stadtmauer entlang. Doch es gab noch
eine Entscheidung, die Lorenz getroffen hatte und die keinen Aufschub duldete.
»Max, du erinnerst dich doch noch an Antonella.«
»Natürlich«, war seine Antwort, wobei Lorenz sah, dass er mit den Gedanken
nicht an diesem Ort war.
»Nun, wir treffen uns regelmäßig, und ich glaube …«
In diesem Moment stoppte Maximilian und funkelte seinen Bruder an.
»Bitte sag mir nicht, dass sich bei euch etwas anbahnt?«, fauchte er.
Von der plötzlichen Aggression war Lorenz erst überrascht, doch dann
erwiderte er Maximilians frostigen Blick. »Und wenn es so wäre?«
Abfällig legte Maximilian die Stirn in Falten. »Du verstehst gar nichts,
oder? Das Letzte, was unsere Familie in dieser Zeit gebrauchen kann, ist, dass du
mit ihr anbandelst.«
Wie von Seilen gezogen, ging Lorenz ein paar
Zoll auf seinen Bruder zu. Jeder von ihnen war bereit, den ersten Schlag auszuführen.
Aus verengten Augen blitzten sie sich an.
»Was willst du damit sagen?« Lorenz sprach diese Worte langsam.
»Na was wohl, kleiner Bruder. Es wäre besser, wenn du mit dieser Elisabeth
etwas angefangen hättest. Für dich und für unsere Familie hätte es keine bessere
Partie gegeben. Sie ist hübsch, kommt aus gutem Hause und vielleicht hätte der Bürgermeister
etwas für uns tun können. Aber das ist dir wieder viel zu einfach. Natürlich. Denn
wen musstest du wählen?«
Lorenz antwortete nicht, er spürte nur die Wut in sich hochkochen und
den Schleier aus Rage, der seinen Bruder nicht mehr wie einen Bruder, sondern wie
einen Feind aussehen ließ.
»Hast du die Gerüchte nicht gehört, Lorenz? Vom Mädchen, das sich nachts
aus der Stadt herausschleicht, um was weiß ich zu tun? Ts …« Maximilian schaute
zur Seite und ließ seinen Blick schweifen. »Wenn Einzelne in einer Menge ein Wort
rufen, wird es verschluckt, doch wenn die Menge ein Wort ruft, wird es zum Gesetz.«
Noch einmal sah er seinen Bruder direkt an, dann ließ er ihn stehen
und stapfte zu den Freiwilligen, die im Schein der Fackeln warteten.
Mit tief in den Höhlen liegenden Augen funkelte der Hauptmann die Freiwilligen
herausfordernd an. Die Ringe unter seinen Augen schienen noch eine Spur dunkler
geworden zu sein und waren Zeugen mangelnden Schlafes. Trotzdem war seine Stimme
nicht müde, im Gegenteil, sie wirkte konzentriert und fest.
»Ich weiß«, brüllte er, »dass ihr noch lange nicht
bereit seid, um in die Schlacht zu ziehen. Ich weiß, dass einige von euch den nächsten
Monat nicht erleben werden. Und ich weiß, dass ihr Angst habt, auch wenn ihr es
unter eurem freudigen Gejohle zu verstecken versucht.«
Der Hauptmann ging ein paar Schritte auf seine Männer zu. »Schon morgen
Abend werdet ihr General Lamboys Truppen überstellt. Ihr werdet nach Crefeld ziehen,
wo eure Ausbildung fortgesetzt wird. Ihr werdet dort, mit anderen Freiwilligen und
Söldnern, die Partisanengruppe des Kaiserlichen Heeres verstärken.«
Dann schaute er kopfschüttelnd zur Seite. Lorenz meinte ihn »Das ist
doch Wahnsinn« murmeln zu hören.
Die Freiwilligen starrten sich zaghaft und mit
offenen Mündern an. Niemand schien etwas sagen zu wollen. Das Knistern der Fackeln,
das sie bisher noch nicht einmal wahrgenommen hatten, schien alles zu übertönen.
Auch Lorenz konnte die Worte, die er eben vernommen hatte, nur schwer begreifen.
Schon morgen Abend sollten sie aufbrechen? In diesem Moment wollte er Hilfe suchend
in das Gesicht seines Bruders sehen. Doch Maximilian erwiderte seinen Blick nicht,
seine Augen waren mutlos zu Boden gerichtet. Die Blicke seiner Freunde waren leer,
ihnen hatten die Worte des Hauptmanns jeglichen Schein genommen. Selbst Jakobs sonst
immer so glänzende Augen fixierten nachdenklich eine Fackel am anderen Ende des
Feldes.
»Eure versprochene Muskete und der Sold für einen
Monat wird euch vor dem Marsch ausgehändigt. Decken bekommt ihr gestellt.« Mit langsamem
Gang und verschränkten Armen ging der Hauptmann die Reihe ab. Bei jedem Schritt
durchzog das
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