Die Hexe vom Niederrhein: Historischer Roman (German Edition)
Klimpern seines Säbels die Stille dieser Nacht. Was für einen traurigen
Anblick sie abgeben mussten. Fünf Dutzend Jungen und Männer, einige hatten zu viele
Winter gesehen, um an einer Schlacht teilzuhaben, und einige zu wenige. Alle standen
sie in dieser Reihe und aus ihren Augen sprach nur eins: Furcht.
Nachdem er jedem Einzelnen ins Gesicht geblickt
hatte, baute der Hauptmann sich abermals vor den Männern auf. Aus der Innentasche
seiner Uniform holte er ein Stück Papier und reckte es für jeden gut sichtbar in
die Höhe. »Derjenige, dessen Name auf diesem Blatt Papier steht und der morgen um
sieben Uhr abends nicht auf dem Markplatz erscheint …«
Jeder wusste, was jetzt kommen würde.
»… gilt als fahnenflüchtig, wird gejagt und schließlich zum Tode verurteilt.«
Lorenz atmete schwer. War es für einige hier am
gestrigen Tage noch ein großer Spaß, ein Abenteuer, ja vielleicht sogar eine Möglichkeit
zu einem besseren Leben gewesen, so wurde ihnen jetzt schlagartig das drohende Ausmaß
ihrer Entscheidung bewusst. Morgen in der Nacht würden sie bereits Crefeld erreicht
haben. Dann wären sie ein Teil dieses jahrelangen Krieges, ein Spielball der Fürsten
und Monarchen, eine Figur auf dem Schachbrett der Politik. Wenn sie morgen in die
Truppen eingegliedert würden, wären sie keine Schmiede, Bauern oder Zimmerleute
mehr, dann wären sie Soldaten. Alle gleich im Leben und vor allem gleich im Tod.
Lorenz lief ein Schauer über den Rücken. Der vormals so starke und unwiderstehliche
Drang, sein Land zu verteidigen, hinaus in die Welt zu gehen und etwas zu bewirken,
wurde nun von einem hässlichen und alles in sich aufsaugenden Gefühl der Angst verdrängt.
Schon in wenigen Stunden würde er vielleicht das letzte Mal in seinem Bett aufwachen.
Schon in wenigen Stunden würde er vielleicht das letzte Mal seine Familie in den
Arm schließen können. Schon in wenigen Stunden würde er vielleicht das letzte Mal
Antonella …
Dann stoppten seine Gedanken. In diesem Moment
schloss er die Augen. Lorenz spürte ihre weichen Lippen auf seinen. Allein die Vorstellung
ihres Gesichts, wie es näher kam, sie langsam die Augen schloss und ihre Münder
sich schließlich berührten, nur diese Vorstellung ließ die Angst in ihm schwinden
und die Hoffnung wachsen. Nein, ich muss überleben. Ich muss sie wiedersehen. Ich
muss …
Die Ausbildung mit dem Säbel verkam zum Trauerspiel.
Zu müde und lustlos, zu starr und ängstlich hielten die Männer ihre Waffen. Der
Hauptmann selbst hielt sich mit Schlägen zurück und versuchte fast väterlich, seine
Rekruten zu verbessern. Vom wilden Wettkampf des gestrigen Tages war nicht einmal
mehr ein Hauch übrig. Obwohl die Brüder beobachten konnten, dass die Freiwilligen
immer besser ihre Geschosse ins Ziel brachten, wollte doch kein Hochgefühl in ihnen
aufkommen. Sie teilten die Männer in zwei Gruppen. Erst zeigten Lorenz und Maximilian
ihnen die genaue Handhabe mit der Muskete, dann sollten die Freiwilligen auf das
Ziel schießen. Die Brüder vermieden dabei Blickkontakt, versuchten sogar die erklärenden
Worte des anderen zu überhören. Selbst Jakob und Ratte waren zu keinem Scherz mehr
aufgelegt. Stoisch nahmen sie ihre Waffe entgegen und versuchten mit ehrlichem Interesse,
den Umgang mit der Muskete zu erlernen. Als die Fackeln abgebrannt waren, beendete
der Hauptmann die Übungen des Tages in dem Wissen, dass dies ihre letzten vor der
Abreise sein würden. Nachdem alle Waffen verstaut waren, war es Maximilian, der
sich, ohne sich zu verabschieden, auf den Weg in die Stadt machte. Lorenz blieb
noch einige Minuten, um den verbliebenen Männern eine Extralektion zu erteilen.
Als diese beendet war, blieb sein Blick kurz auf dem Hauptmann hängen, der in den
wolkenverhangenen Himmel starrte und mit sich selbst zu reden schien. Erst dachte
Lorenz, dass es der Wind wäre, der sich mit ihm einen Scherz erlaubte, doch als
auch die Soldaten gegangen waren und nur der Hauptmann und er noch auf dem Feld
verweilten, vernahm er die Worte ganz genau.
»Zwei Tage … nur zwei Tage … nur zwei Tage.«
»Gibt es keine Möglichkeit, dass du hierbleibst?«, fragte sie besorgt.
Eingekuschelt in mehrere Decken, starrten die beiden ins knisternde
Feuer des Wärme spendenden Ofens.
»Nein, ich muss und auf irgendeine Weise will ich auch«, entgegnete
er leise, sich noch näher an Antonella heranschmiegend. Zusammen hatten sie sich
auf das kleine Bett in ihrem Zufluchtsort
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