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Die Hexe vom Niederrhein: Historischer Roman (German Edition)

Die Hexe vom Niederrhein: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Die Hexe vom Niederrhein: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sebastian Thiel
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Stimme
fest, hart, beinahe schneidend. Jetzt klang sie eher kläglich und mitleiderregend.
Seinen Blick schärfend, ging er vorsichtig auf die Person zu.
    »Herr Hauptmann?«
    Es dauerte einige Zeit, bis die Person sich komplett aufgerichtet hatte
und ihn erkannte. »Lorenz! Ihr seid Lorenz Cox, der Sohn des Schmiedes!«, sagte
er freudig erregt.
    »Ja, Herr.«
    Der Waffenrock hatte sich mehrmals verdreht und gab den Blick auf ein
offenes, schmutzig weißes Hemd preis. Sogar seine feinen Wollstulpen waren voller
Dreck. Ohne seinen Degen und seine Mütze grinste ihm der Hauptmann entgegen, wollte
auf ihn zugehen und verlor das Gleichgewicht. Es war nur Lorenz’ schneller Reaktion
zu verdanken, dass er nicht ein weiteres Mal hinfiel. Eine scheußliche Wolke aus
Bier und Erbrochenem schlug ihm entgegen.
    »Ihr seid ein guter Junge, ein guter Junge«, murmelte er.
    Ächzend unter der Last des schweren Mannes, zog
Lorenz ihn auf ein paar gestapelte Jutesäcke. Schwer atmend konnte der Hauptmann
sich an die Häuserwand anlehnen.
    »Herr Hauptmann, was ist geschehen?«, wollte Lorenz wissen, ihn immer
noch ungläubig von oben bis unten musternd. Doch allem Anschein nach löste seine
Frage bei dem Mann nur Gelächter aus. Ein helles, beißendes Lachen, das Hunde bellen
ließ.
    »Nichts ist geschehen, Bursche. Der Krieg ist geschehen. Ist das nicht
ein guter Grund, um zu trinken?«
    Seine eigene Aussage offenkundig für witzig haltend, lachte er erneut
los, doch diesmal leiser, nachdenklicher. Abrupt stoppte er und blickte Lorenz direkt
an.
    »Du bist ein Narr, Lorenz Cox«, keuchte der Mann. »Du bist ein Narr,
dich freiwillig zu melden.«
    Innerhalb von wenigen Herzschlägen wurde die Stimme
des Hauptmanns lauter. »Warum? Sag mir, warum bist du so dumm gewesen?«, brüllte
er. Verdutzt schaute Lorenz zu dem gekrümmten Mann auf den Säcken vor ihm hinunter.
    »Herr?«
    »Sag mir, warum?«, schrie er.
    Einige Sekunden vergingen, in denen nur der rasselnde Atem des Hauptmanns
zu hören war.
    »Ihr wart Soldat, solltet Ihr das nicht am besten wissen? Ich will
den Feind zurückschlagen, Kempen verteidigen und die beschützen, die mir am Herzen
liegen.«
    »Natürlich«, gluckste der Soldat. »Was für ein edler Junge du doch
bist.«
    Sichtlich erschöpft, versuchte er sich an der Häuserwand hochzuziehen,
doch schon nach wenigen Sekunden verließen ihn die Kräfte und er schlug erneut auf
die Säcke auf. »Ich will dir mal etwas über den Krieg erzählen. Ja, ich war Soldat
in der Kaiserlichen Armee. Ich war mal genau wie du. Ein kleiner Soldat mit genügend
Träumen und Flausen im Kopf, dass es für fünf gereicht hätte. Also ging ich in die
Kaiserliche Armee. Der Sold war gut. Ich wollte ein paar Jahre dienen und mir so
eine Schenke zusammensparen. Kannst du dir das vorstellen? Ich wollte einmal Wirt
werden!«, kicherte er leise.
    Der Wind hatte in dieser Nacht noch einmal zugenommen
und die Schläfrigkeit schrie ihn an, nach Hause zu gehen und sich in sein warmes
Bett zu kuscheln. Der nächste Tag würde schließlich noch früh genug kommen. Doch
etwas im Gesicht des Mannes, etwas in seinen dunklen, mit schwarzen Ringen untermalten
Augen, hinderte ihn daran.
    Mit gebrochener Stimme fuhr der Hauptmann fort:
»Voller Vorfreude auf die bevorstehende Schlacht lechzten wir dem Feind entgegen.
Ich bin meilenweit gereist, um meinen Dienst anzutreten. Jahrelang hatte ich mir
ausgemalt, wie es sein würde, große Schlachten für den Kaiser zu erringen, als Kriegsheld
nach Hause zurückzukehren und von leichten Mädels umgarnt zu werden. Wer wollte
nicht schon einmal eine glorreiche Schlacht befehligen?«, flüsterte er.
    Den Blick des Hauptmanns zog es hoch in den Himmel, dort wo die Wolken
schnell vorbeizogen, als müssten sie hastig zum nächsten Ort.
    »Es war eine Nacht wie die heutige. Ungefähr sechs
Jahre ist es nun her. Wir marschierten zum Scharfenberg, dort bei Wittstock. Wollten
unsere Heere noch verstärken, doch es kam anders.« Der Blick des Mannes war nun
völlig nach oben gerichtet. Er sprach die Worte leise, mit Bedacht aus, und doch
schwang in jedem Satz Schmerz und Trauer mit. Im Geiste, dachte Lorenz, ist er dort.
Unten am Scharfenberg.
    »Wir waren guter Dinge, die Schlacht für uns entscheiden zu können.
Immerhin zogen wir mit 22.000 Mann gegen die 16.000 Schweden. Ich wurde ins Zentrum
von Feldmarschall Hatzfelds Truppen beordert. Mutig schritten wir voran, dachten,
wir könnten Baniers Flügel aufreißen.

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