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Die Hexe vom Niederrhein: Historischer Roman (German Edition)

Die Hexe vom Niederrhein: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Die Hexe vom Niederrhein: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sebastian Thiel
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Ellen neben ihm. Er konnte die Füße der Menschen sehen, die hysterisch
auf und ab hüpften und keine Ruhe zu finden schienen. Sie fasste sein Gesicht und
blickte ihn mit sorgenvoller Miene an.
    »Deine Lider zittern«, stieß sie aus. »Ich muss den Arzt finden, ich
…«
    »Nein, geh nicht«, unterbrach sie Lorenz.
    Traurig lächelte sie ihn an. »Ich werde gleich zurück sein.«
    Eilig rannte sie davon und verschwand in der glühenden, rot erleuchteten
Masse. Lorenz spürte, wie Speichel seinen halb geöffneten Mund verließ, doch er
konnte nicht mehr die Kraft aufbringen, ihn wegzuwischen. Aus zusammengekniffenen
Augen beobachtete er den pulsierenden Pulk, wie er tobte und aus Leibeskräften brüllte.
Wild schrien die Menschen durcheinander, sodass Lorenz den eigenen Atem nicht zu
hören vermochte. Die Masse vor ihm verschwamm, und doch konnte er einen gelben Schimmer
erkennen, der sich durch den Nebel zog. Bildete er sich ihr Gesicht nur ein, oder
stand sie wirklich wenige Ellen vor ihm und jubelte Tillmann zu?
    Beinahe bemerkte er nicht, dass Antonella seine Hand fasste und ihn
umarmte.
    »Der Arzt, ich habe ihn gefunden.«
    Behäbig schritt der dickliche Mann an sie heran und beugte sich sofort
über ihn. Ruhig untersuchte er seinen Kopf. Auch aus seinen Augen sprach Furcht,
doch seine tiefe Stimme vermittelte Zuversicht. Allem Anschein nach hatte er schon
zu viel gesehen, um jetzt in Panik zu verfallen und sich der tobenden Masse anzuschließen.
    »Die Wunde ist sehr tief, der Aufschlag muss hart gewesen sein«, murrte
er, von dem Chaos um ihn herum unbeeindruckt. »Ihr braucht mehrere Tage Ruhe und
solltet Euch nicht bewegen.«
    Schnell befühlte er Lorenz’ Gesicht und blickte in seine Augen. »Er
muss sofort an einen ruhigen Ort gebracht werden, um …«
    Mitten im Satz stoppte der Arzt. Sein Kopf fuhr
herum, zur Masse, die ebenfalls ungläubig tuschelte. Lorenz konnte die Sätze nicht
verstehen, zu sehr dröhnte sein Schädel, doch auf einmal wurde es ruhiger. Allmählich
klang das Geschrei ab und die Menschen starrten auf mehrere Soldaten, die den Marktplatz
erreicht hatten. Erst leise, dann immer deutlicher vernahm Lorenz, warum die Masse
verstummte.
    »Sie sind durchgebrochen! An der Turmmühle sind sie durchgebrochen.«
    Das Brüllen der Soldaten überzog das Gemurmel und übertönte jeglichen
Laut. Einige Bewohner fielen zu Boden und beteten, andere schrien panisch Tillmann
entgegen. In allen Gesichtern lag dieselbe verzweifelte Angst. Sofort schoss der
Arzt hoch und rannte in die anliegende Gasse. Antonella hetzte ihm ein paar Ellen
hinterher, dann kehrte sie zu Lorenz zurück und kniete sich neben ihn.
    »Ich werde dich zu deinen Eltern bringen. Die Schmiede liegt etwas
abseits, vielleicht …«
    Doch Antonella kam nicht dazu, ihren Satz zu beenden.
    Laut zischend schossen Musketen am anderen Ende
des Marktplatzes dem Himmel entgegen. Ergriffen von Panik schrien die Menschen durcheinander
und blickten Hilfe suchend auf die Bühne. Querschläger verletzten eine Frau, die
kreischend ihren Bauch hielt und sofort auf den Boden stürzte. Sie wurde von der
Masse regelrecht niedergetrampelt. Hektisch liefen alle durcheinander. Die Blicke
schnellten zu Baier und Tillmann, die regungslos und mit feuerrotem Gesicht in die
Gasse starrten. Nach einigen weiteren Schüssen drängten die Menschen scheu zurück
und gaben Lorenz und Antonella die Sicht auf die einfallenden Hessen frei. Keinen
Laut gaben Letztere von sich, als sie ihren Blick gierig über die Menschenmenge
schweifen ließen. Ihre Uniformen waren wild zusammengestellt. Mehrere Dutzend hetzten
den Soldaten entgegen, die den hessischen Söldnern drohend ihre Hellebarden entgegenstreckten.
Die Eindringlinge gaben ohne Vorwarnung Schüsse auf die Stadtwache ab. Mehrere von
ihnen sackten sofort röchelnd zusammen. Auch von den anderen anliegenden Gassen
trieben die Hessen die Bewohner vor sich her. Verzweifelt sammelten sie sich in
einer Ecke des Platzes, wo sie sich still zusammenkauerten. Die Söldner zeigten
kein Erbarmen. Wo die Kugel ihr Ziel verfehlte, da halfen sie mit Säbel und Messer
nach. Spitz schreiend brachen die Soldaten zusammen. Gleich mehrere Hessen stürzten
sich auf die letzten verbliebenen Wächter der Stadt. Wie Hunde fielen sie über die
am Boden Liegenden her und trieben ihre Klingen an mehreren Stellen in die Körper.
Nachdem auch der letzte Soldat aufgehört hatte zu zucken, nahmen sie deren warme
Kleidung und Waffen an sich.

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