Die Hexe vom Niederrhein: Historischer Roman (German Edition)
einen kurzen Moment
atmeten die beiden durch. Wenige Sekunden später sammelte sich das Tier bereits
wieder vor ihnen. Die Ersten stürzten sich aus vollem Lauf auf ihn. Einem konnte
er sein Knie in die Magengrube rammen, ein anderer erwischte ihn mit einer Holzplanke
gegen die Wange. Lorenz brach auf dem Boden zusammen. Als er den panischen Schrei
Antonellas hinter sich hörte, versuchte er sich aufzurichten. Die Meute hielt sie
an Haaren und Gliedmaßen fest und schlug auf sie ein. Er spürte, dass Blut an mehreren
Stellen seines Kopfes sich warm um sein Gesicht gelegt hatte, doch dieser Anblick
ließ Lorenz alles vergessen. Mit tiefem Grunzen stand er auf und schoss seine Faust
gegen den erstbesten Angreifer. Doch schon waren drei andere zur Stelle, die ihm
seine Arme auf den Rücken drehten. Es waren einfach zu viele. Noch einmal blickte
er auf Antonella, die mittlerweile nicht mal mehr die Kraft besaß, um zu schreien.
Er zappelte, schrie, doch seine Anstrengungen waren vergebens. Zu hart war der Griff
der Männer, zu unbarmherzig ihre Schläge und Tritte. Gerade als zwei weitere Männer
zum Hieb gegen Antonella ausholen wollten, wurden sie weggeschleudert. Im Schein
der Fackeln erkannte er Jakob, der mit gefletschten Zähnen und in gebückter Haltung
auf ihn zumarschierte. Jeder Muskel an seinem Körper schien angespannt, als er den
Ersten mit seiner riesigen Pranke packte und donnernd zu Boden warf. Der Griff an
seinem Arm lockerte sich, bis er schließlich ganz nachließ. Schnell drehte er sich
um, wollte der Person hinter sich einen Schlag versetzen. Doch als er in die stahlblauen
Augen seines Bruders sah, schien ihm alle Kraft genommen. Nur für einen Herzschlag
gönnten sich Lorenz und Maximilian einen Moment der Freude.
»Du lebst …«, hauchte sein Bruder.
Seine langen, schwarzen Haare klebten an seiner
Stirn. Die Zeit schien für diese Sekunde langsamer zu laufen. Auch Maximilian hatte
die Schlacht schwer gezeichnet, blutige Striemen und blaue Flecken überzogen sein
grinsendes Gesicht, doch seine Augen glänzten vor Freude. Schelmisch nickte er ihm
zu. Beinahe zeitgleich drehten sich die Brüder zu dem Pulk um, der Antonella umringte,
während Jakob es mit mehreren Gegnern gleichzeitig aufnahm. Er suchte sich seine
Feinde nicht aus. Wie wild schlug er auf einen Mann ein, der bereits regungslos
am Boden lag. Dann schoss er zwei Frauen entgegen, packte ihre Hälse und rammte
ihre Gesichter mit voller Wucht gegen die Häuserwand. Wortlos sackten sie zusammen.
Nur zwei große Blutflecken an der Wand blieben vom Zusammenprall zurück. Lorenz
war sich sicher, dass sie nie mehr aufgestanden wären, wenn Jakob seine Kraft nicht
gedrosselt hätte. Für wenige Augenblicke zog sich das Tier zurück. Dann peitschten
sie sich erneut gegenseitig auf und schossen den dreien entgegen. Während Maximilian
und Jakob die Gegner abwehrten, konnte Lorenz sich weiter zu Antonella durchkämpfen.
In seinem Augenwinkel zuckte ein rotes Schimmern, und jeden Moment rechnete er mit
einem weiteren Schlag, doch das Rot zog an ihm vorbei, auf den Pulk aus Menschen
zu … Ratte!
Die Haare des Jungen schienen im zuckenden Feuer
zu brennen, als er eine längliche Eisenstange in die Weichteile eines Mannes krachen
ließ. Mit schmerzverzerrtem Gesicht fiel er zu Boden, seine Schreie übertönten den
gesamten Marktplatz. Triumphierend stand Ratte breitbeinig über ihm. Sein linkes
Auge war von einem dicken Verband verborgen und ihm schienen mehrere Zähne zu fehlen.
Mit dem ihm verbliebenen Auge zwinkerte er Lorenz kurz zu, dann holte er erneut
aus und ließ die Eisenstange auf die Menschen niedersausen. Mit einem metallischen,
dumpfen Ton sackten die Angreifer zusammen. Lorenz’ Kopfschmerzen schienen übermächtig
zu werden. Trotzdem befahl er sich selbst, sich mitten ins Getümmel zu stürzen.
Lorenz riss das wütende Tier weg von Antonella. Der letzten Frau, die sie an den
Haaren riss, brach Ratte mit seiner Eisenstange ein Bein. Hysterisch auf den offenen
Bruch starrend, zog sie sich mit den Händen von der Stelle weg. Einige Strähnen
von Antonella klebten immer noch an ihren blutenden Händen. Endlich konnte Lorenz
seine Geliebte wieder in den Armen halten. Ihr weißes Gesicht war rot verfärbt.
Nur mühsam konnte sie atmen, und ihre Lippe und ihre Augenbrauen waren aufgeplatzt.
Aus ihren Augen perlten Tränen ihre Wangen hinunter und vermischten sich mit dem
Blut zu einer flüssigen Masse. Mit mehreren offenen Wunden
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