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Die Hexe vom Niederrhein: Historischer Roman (German Edition)

Die Hexe vom Niederrhein: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Die Hexe vom Niederrhein: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sebastian Thiel
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vielen, vielen Dank«, entfuhr es Antonella
erleichtert, als der Soldat die beiden durch die Gemäuer auf die andere Seite des
Tores führte. Der Junge mit dem Milchgesicht wartete dort auf sie.
    »Seid vorsichtig«, mahnte er ängstlich. »Seit mehreren
Stunden sind die Hessen bereits vor den Toren Kempens. Die Stadt scheint verrückt
geworden zu sein. Tillmann betet seit den Abendstunden mit den Leuten auf dem Marktplatz.
Er will mit Baier einen Vertrag aushandeln und diesem Abschaum Zugang zur Stadt
gewähren.«
    Aus seinen Augen sprach ein Gräuel, wie die beiden es selten gesehen
hatten.
    »Dieser Tunichtgut wird unser aller Untergang sein«, pflichtete der
alte Soldat ihm bei. »Das Letzte, was wir brauchen, sind Verhandlungen«, brummte
er. Doch auch er war beileibe nicht so tapfer, wie er seine Stimme klingen lassen
wollte. Sie war durchzogen von Furcht, und das Grauen schwang in jedem Wort mit.
    »Wo ist der Arzt?«, stieß Antonella hastig hervor.
    »Auf dem Marktplatz. Wo alle Bewohner sich versammeln. Aber seid vorsichtig
…«, wiederholte der Alte. »In dieser Nacht werden noch grässliche Dinge geschehen!«
    Die letzten Worte bekamen die beiden bereits nicht mehr mit. Sie hetzten
über das regennasse Kopfsteinpflaster durch die engen Gassen. Hier war es noch einen
Moment lang ruhig. Der volle Mond warf sein Licht auf die geweißten Fachwerkhäuser
und die Schilder, auf denen mit verschnörkelter Schrift die Berufe und Namen der
Bewohner zu lesen waren. Lorenz konnte die Augen nicht mehr offen halten, immer
wieder fielen seine Lider zu und zogen ihn in die süße Dunkelheit des Schlafes.
Immer wieder musste er sich konzentrieren, um im Hier und Jetzt zu bleiben. Doch
immer wieder gelang es ihm nicht. Die Schilder flogen schnell und gleichzeitig langsam
an ihm vorbei. Sein Verstand schien keinen Gedanken mehr zu fassen, das Einzige,
was er wahrnahm, war das angestrengte Keuchen Antonellas und ihre verschwitzten
Hände, mit denen sie ihn stützte. Doch dann verschwanden auch diese Eindrücke.
    Schon von Weitem sahen sie das zuckende Flackern, das vom Markt ausging.
Dutzende Fackeln mussten angezündet worden sein, denn der Marktplatz war in ein
feuriges Rot getaucht. Auf der Empore schmetterte Tillmann schweißgebadet den Menschen
seine Worte entgegen. Lorenz wollte ihm entgegenpreschen, sich seinen unaussprechlichen
Gedanken hingeben. Hier und jetzt, vor allen Menschen. Doch er schaffte es nicht
einmal, seinen Kopf lange aufrecht zu halten. Das Jubeln der Masse dröhnte Lorenz
in den Ohren. Der Platz wirkte wie ein Trichter, wodurch die Lautstärke der Schreie
nicht auszuhalten war. Die Hände hinter dem Rücken verschränkt, stand Baier neben
dem Geistlichen und blickte aus tiefen Augen in die Massen. Lorenz bekam nur einige
Wortfetzen mit, die heisere Stimme des Pfarrers überschlug sich beinahe.
    »… die Strafe hat euch nun erreicht! Euch, die
ihr gezögert habt, die ihr gezaudert habt, seinem Willen zu folgen! Ihr, die ihr
kein Zeugnis abgelegt habt und nicht mutig genug wart, um Taten sprechen zu lassen.«
Sein Geschrei wurde unterbrochen von vielen Rufen, die aus der Menge kamen. Die
Leute brüllten dem Pfarrer verzweifelt entgegen, dass er sie anhören möge, dass
er ihnen ihre Sünden vergeben möge im Angesicht des drohenden Todes. Einige Sekunden
verharrte er atemlos auf der Bühne und hörte sich die Wehklagen der Menschen an.
Erst, als er die Arme hob, verstummten sie.
    »Es ist noch nicht zu spät!«, schrie er. »Es ist noch nicht zu spät,
den rechten Weg zu gehen und an seine Allmacht zu glauben! Geht seinen Weg!« Jedes
Wort dröhnte mit ganzer Kraft über sie hinweg. »Bestraft die Ungläubigen! Lasst
ihnen ihre gerechte Strafe zukommen!«
    Die Schreie der Menschen vereinten sich zu einem einzigen, lauten Grollen,
das hoch in die Nacht geschmettert wurde. Beinahe panisch fassten sie sich an den
Händen und beteten Pfarrer Tillmann entgegen. Ein weiteres Mal blickte Lorenz kraftlos
zu dem Scheusal in der Priesterkutte, und ein weiteres Mal erfüllten schreckliche
Überlegungen seinen Geist. Tillmann nickte hastig. Schweißperlen liefen sein Antlitz
hinunter.
    Lorenz konnte sich kaum mehr auf den Beinen halten, sein Körper schmerzte,
mit jeder Bewegung nahm die Pein zu.
    »Ich … ich kann nicht … mehr«, stöhnte er.
    Verzweifelt lehnte Antonella ihn gegen eine Häuserwand am Rande des
Marktplatzes. Sein Kopf fiel sofort auf eine dort abgestellte Tonne. Der Mob tobte
nur wenige

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