Die Hexe von Freiburg (German Edition)
neuen Auftrags ging, wurden Siferlin und die Gesellen dazugeladen. Es war zugleich die Abschiedsfeier von Benedikt. Catharina hatte ihn seit jenem Sonntag nicht mehr gesehen, und als er ihr jetzt gegenübersaß, konnte sie seinen Anblick kaum ertragen. Von Siferlin fühlte sie sich wie immer beobachtet. Erst gestern war sie wieder mit ihm aneinander geraten. Wie eine Ratte kam er immer aus irgendeinem Winkel des Hauses oder des Hofs hervorgehuscht und hatte offensichtlich seinen Spaß daran, wenn sie erschrak. Gestern hatte sie ihren Ärger nicht zurückgehalten und ihn angefaucht: «Hört endlich auf damit, mir hinterherzuschnüffeln!» «Hinterherschnüffeln – was für ein hässlicher Ausdruck», hatte er mit seiner Fistelstimme entgegnet. «Ihr habt doch nichts zu verbergen, oder? Übrigens schade, dass Ihr Euch nicht mehr in der Werkstatt blicken lasst, die Männer vermissen Euch schon.»
Jetzt, während des Essens, grinste er abwechselnd Benedikt und Catharina an. Plötzlich erkannte sie, was sie so abstoßend an Siferlin fand: Er hatte denselben unverschämten und unberechenbaren Blick wie ihr toter Stiefbruder Johann. Sie schob ihren Teller zurück und entschuldigte sich mit der Bemerkung, sie habe starke Kopfschmerzen.
Als die Gäste fort waren, kam Michael auf ihr Zimmer.
«Ich mache mir Gedanken um Benedikt», sagte er, ohne jeden Argwohn in der Stimme. «Er war immer einer meiner besten Männer, und auf einmal wirft er alles hin. Ich verstehe das nicht.»
«Wahrscheinlich hat er eine Frau gefunden», gab Catharina unwillig zurück.
«Vielleicht hast du Recht. Ach ja, und noch etwas: Es freut mich, wie gut du dich um das Wohl unserer Gäste kümmerst, aber du solltest ein wenig mehr auf dich achten.»
«Wie meinst du das?»
«Na ja, dich schöner zurechtmachen. Du kannst dir doch alles kaufen, was du brauchst.»
Catharina wollte ihm schon eine bissige Bemerkung entgegenschleudern, doch dann schwieg sie. Im Grunde hatte er Recht. Sie wusste selbst, wie wenig ihr in letzter Zeit daran lag, sich herauszuputzen. Für wen auch? Nun gut, dann würde sie die Rolle als ehrbare Bürgersfrau künftig eben noch besser spielen. Ein bisschen Putz, ein bisschen Schmuck, und schon wäre Michael stolz auf seine Frau. So einfach war das.
Michael selbst hingegen staffierte sich inzwischen aus wie ein Pfau. Seine Kleider waren aus feinstem Genter Tuch, die Strümpfe aus reiner Seide. Er behängte sich mit Silberketten und trug stets ein spitzenbesetztes Taschentüchlein bei sich.
Catharina vermutete, dass er wieder eine Geliebte hatte, denn an manchen Abenden roch er, wenn er nach Hause kam, nach Moschus oder Rosenwasser, und sie fand mehr als einmal blonde Haare auf seinem Wams. Es kümmerte sie wenig, denn sie sah in Michael längst nicht mehr den Mann, sondern eine Art geschlechtsloses Wesen. Sie selbst hatte jegliches Interesse an Männern verloren. In der wenigen freien Zeit, die ihr verblieb, traf sie sich hin und wieder mit Mechtild vom Schneckenwirtshaus oder widmete sich, um nicht in Grübeleien zu versinken, wie früher dem Lesen. Dazu hatte sie sich das Bücherkabinett gemütlich eingerichtet. Sie ließ sich ein Schreibpult fertigen, denn sie hatte eine neue Leidenschaft entdeckt: das Briefeschreiben.
Den Anstoß dazu hatte ihr Lene gegeben. Etliche Wochen nach ihrem Aufenthalt in Ensisheim war ein Brief eingetroffen, und zu Catharinas größter Überraschung war er von ihrer Base, die nie schreiben gelernt hatte.
«Da staunst du, was?», schrieb Lene in großen, ungelenken Buchstaben, die kaum zu entziffern waren. «Um dir ein wenig näher zu sein, habe ich Schreibstunden genommen. Es strengt mich noch sehr an, aber es erscheint mir wie ein Wunder, dass ich jetzt über diese große Entfernung mit dir sprechen kann. Es geht uns allen gut, und die kleine Marthe-Marie entwickelt sich prächtig.»
Catharina verspürte einen schmerzhaften Stich. Dann gab sie sich einen Ruck und las weiter.
«Matthias liebt sein Schwesterchen über alles. Stell dir vor, bald werden die beiden noch ein Geschwister bekommen. Ich habe geträumt, es wird ein Junge. Schreib mir gleich zurück, deine Lene.»
Nach und nach wurden ihre Briefe lesbarer und vor allem ausführlicher. Nachdem es Catharina geschafft hatte, so etwas wie Muttergefühle tief in ihrem Inneren zu verschließen, freute sie sich über jeden von Lenes Berichten, denn ihre Base beklagte sich nie, nicht einmal darüber, dass ihr Mann sie aus beruflichen
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