Die Hexe von Freiburg (German Edition)
einfachen Menschen vor einer Hungersnot, ihre Angst davor, dass sich die schreckliche Zeit, wie wir sie vor ein paar Jahren erlebt haben, wiederholt. Und alle sind voller Misstrauen, Hass und Neid – ist das bei euch in Innsbruck genauso?
Doch jetzt bin ich abgeschweift. Die arme Zöllnerstochter wurde, nachdem sie vor Gericht geschwiegen hatte, erst in den Martinsturm, dann in den Christoffelsturm gebracht und der schrecklichsten Marter unterzogen. Dabei gestand sie und gab noch zwei weitere Frauen an, die dann ebenfalls der Hexerei beschuldigt und gemeinsam mit ihr zum Tod durch die Flammen verurteilt wurden. Mehr weiß ich auch nicht darüber, und als ich Michael nach Einzelheiten fragte – er war zwar bei dem Prozess nicht dabei, weiß aber immer über alles Bescheid –, fuhr er mir dermaßen böse über den Mund. Das ginge mich nichts an, ich solle froh sein, dass ich das Glück habe, ein anständiges Leben zu führen. ‹Ich weiß doch, worauf deine Fragerei hinausläuft: In deinen Augen ist jeder Verurteilte ein Opfer und jeder Beschluss des Ehrsamen Rates lächerlich. Du bist nichts als ein rechthaberisches Weib.› So oder so ähnlich hat er mich angeschnauzt. Wir können einfach kein normales Wort mehr miteinander wechseln.
Liebe Lene, kannst du dir vorstellen, wie sehr mich dieses grausame Urteil bewegt? Weißt du noch, wie wir als Kinder meinen Stiefbruder Johann verwünscht haben? Das waren nur Albernheiten, aber wenn irgendjemand davon Wind bekommen hätte, wären auch wir womöglich im Hexenturm gelandet.»
Erschrocken hielt Catharina inne. Durfte sie Johann überhaupt erwähnen? Lene und sie hatten über seinen gewaltsamen Tod nie wieder gesprochen, und sie wollte ihre Freundin damit nicht belasten. Sie selbst hatte jenen Augustmorgen in der Lehmgrube weitgehend aus ihrem Bewusstsein verbannt, doch sie wusste nicht, wie Lene mit diesem Erlebnis fertig geworden war.
Kurzerhand strich sie den letzten Absatz durch. Jetzt erst merkte sie, wie ihr die Hand schmerzte und wie müde sie war. Sie würde den Brief morgen fertig schreiben.
Doch sie fand keinen Schlaf. In ihren Ohren gellten die Schmerzensschreie der gequälten Frauen. Vor genau zwei Wochen, an ihrem Namenstag, war sie auf dem Weg zum Schuhmacher am Christoffelstor vorbeigekommen und hatte ein Aufbrüllen wie von einem Tier vernommen. Erst dachte sie, in der Nähe würde ein Schwein geschlachtet, doch dann folgten weitere Schreie, und ihr wurde klar, dass sie aus den winzigen Luken des Stadttors drangen. Ein paar Menschen in ihrer Nähe bekreuzigten sich und gingen rasch weiter, und Catharina hatte Mühe, einen von ihnen aufzuhalten. «Was ist los im Turm?», fragte sie einen in Lumpen gehüllten Mann. «Das sind die Hexen», antwortete der mit schwerer Zunge. «Sie liegen wahrscheinlich auf der Streckbank, damit sie endlich ihre Verbrechen gestehen.»
Am Tag der Urteilsvollstreckung war fast die ganze Stadt auf den Beinen gewesen. Die Verurteilten, geschoren und aneinander gekettet, wurden auf einem Holzkarren vom Christoffelsturm quer durch die Stadt hinaus zum Radacker geführt, wo die Scheiterhaufen bereitstanden.
Catharina hatte aus dem Fenster auf die riesige Menschenmenge gesehen, die den Delinquentinnen folgte – Männer und Frauen jeden Alters, Mütter mit Säuglingen an der Brust und ausgelassene junge Burschen. In den vorderen Reihen ging Michael, Seite an Seite mit anderen Zunftvertretern und Ratsmitgliedern. Viele der Schaulustigen pfiffen oder trommelten auf Kochtöpfen, und die Stadtwache hatte Mühe, sie von den drei Frauen fern zu halten. Nur wenige Augenblicke später würden sie mit offenem Maul die Todesqualen der Verurteilten begaffen.
Um nichts in der Welt wäre Catharina in diesem Haufen mitgezogen. Was war nur in die Menschen gefahren? Wieso konnten sie nicht jetzt, wo die allgemeine Not ein Ende hatte, in Frieden mit sich und ihren Nachbarn leben? Catharina tat etwas, was ihr nur selten in den Sinn kam: Sie ließ sich auf die Knie sinken und betete still zu ihrem Gott.
Die Hexenverbrennung blieb noch auf lange Zeit Stadtgespräch. Die unglaublichsten Geschichten machten die Runde. Eine der Frauen, hieß es, habe allein durch einen lauten Fluch eine Scheune in Brand gesteckt. Andere Bürger wollten in einer Vollmondnacht am Fuße des Brombergs gesehen haben, wie die Tochter des Zöllners mit einer bunt gekleideten Gestalt getanzt habe, von deren nacktem Hinterteil ein mächtiger buschiger Schwanz hing. Die
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