Die Hexe von Freiburg (German Edition)
Sie hatte längst entschieden, das Kind bei sich aufzunehmen, war sich aber im Klaren, was das für die Zukunft bedeutete.
«Vielleicht wäre es besser, du würdest niemals erfahren, wo dein Kind aufwächst. Denn wenn es bei uns bleibt, wird es unser eigenes Kind sein, es wird zu mir Mutter sagen und zu dir Tante. Wirst du damit jemals zurechtkommen?»
«Ich weiß, dass es schwer wird, aber ich verspreche es. Lene, glaub mir, das ist es, was ich mir von ganzem Herzen gewünscht habe. Ich denke, ich sollte es die ersten Jahre so selten wie möglich sehen, dann wird es mir leichter fallen. Du wirst sehen, ich schaffe das.»
Die Geburt des kleinen Mädchens verlief ohne Schwierigkeiten. Catharina wollte es nur ein einziges Mal sehen, um Abschied zu nehmen. Nachdem sie ein paar Tage später wieder zu Kräften gekommen war, kehrte sie nach Freiburg zurück. Sie hatte sich in Ensisheim viele Nächte in den Schlaf geweint, nun verbot sie es sich, weiter zu trauern.
Seit Marthes Bestattung war Catharina nicht mehr in Lehen gewesen. Zu schwer lastete der grausame Tod ihrer Tante auf ihr, zu heftig berührte sie die Erinnerung an ihr verzweifeltes Gespräch mit Christoph bei der Trauerfeier und an die letzten Wochen ihrer Schwangerschaft, die ihr jetzt wie ein Trugbild erschien. Sie blieb den ganzen Tag über im Haus, betrat nicht einmal die Werkstatt, und fast jede Nacht suchte die blutige Szene am Straßenrand sie in Albträumen heim. Nur von der Geburt ihrer Tochter träumte sie nie. Immer wieder dachte sie über Marthes letzte Worte nach: Bleibt zusammen. Waren Christoph und sie gemeint? Hatte sie in ihrer Todesstunde vielleicht vergessen, dass ihr Sohn mit Sofie verheiratet war und nicht mit ihr? Oder hatte sie ausdrücken wollen, dass Christoph und sie immer Freunde bleiben sollten? In einem Punkt war sich Catharina jedenfalls sicher: Ihre Tante hatte von ihrer Liebe zueinander gewusst.
Genau zwei Wochen nach der Geburt von Marthe-Marie starb Sofie. Es war ein Sonntag. Am Vorabend hatte sich Benedikt Catharina im Hof in den Weg gestellt, als sie Eier aus dem Hühnerstall holen wollte.
«Ich werde weggehen, in eine andere Stadt.» Er hielt sie am Arm fest. «Aber vorher muss ich mit dir reden.»
Hinter Benedikts Rücken sah sie Siferlin aus dem Werkstatttor treten. Aufmerksam betrachtete er die beiden.
«Nicht hier», flüsterte Catharina.
«Dann komm morgen zu mir. Tu mir diesen letzten Gefallen.»
Ein ungutes Gefühl beschlich sie, als sie am Sonntagmorgen durch den kalten Herbstnebel hinüber in die Predigervorstadt ging. Sie hatte Benedikt verraten und betrogen, doch es gab kein Zurück mehr.
Er lehnte am Fenster, als sie eintrat.
«Nächste Woche räume ich meine Sachen aus der Werkstatt», sagte er mit belegter Stimme. «Dann bist du mich für immer los.»
«Es tut mir Leid.»
«Du hast mich belogen. Du warst schwanger und hast das Kind weggegeben. Unser gemeinsames Kind.»
«Es gibt kein gemeinsames Kind.» Catharina stand wie erstarrt.
Plötzlich füllten sich seine Augen mit Tränen. «Warum hast du kein Vertrauen zu mir?»
Dann geschah etwas, womit Catharina am wenigsten gerechnet hatte. Benedikt umklammerte sie schluchzend und zog sie zu Boden. In diesem Moment wurde die Tür aufgerissen und Christoph stand vor ihnen.
«Sofie liegt im Sterben. Sie möchte dich noch einmal sehen – falls dich das im Moment überhaupt interessiert», setzte er, ohne eine Miene zu verziehen, hinzu. Dann drehte er sich auf dem Absatz um und ging zur Tür.
«Warte, Christoph. Bitte warte auf mich», rief Catharina und sprang auf.
«Lass mich, ich habe keine Zeit zu verlieren. Du kannst ja deinen Freund fragen, ob er dich begleitet.» Er warf einen verächtlichen Blick auf Benedikt und schlug die Tür hinter sich zu.
Jetzt war alles zerstört. Sie lief hinaus, aber Christoph war längst verschwunden.
So schnell sie konnte, rannte sie nach Hause. Barbara kam aus der Küche und sah sie betreten an.
«Seid mir nicht böse, aber ich konnte nicht anders handeln, als Euren Vetter zu Benedikt zu schicken. Er kam hier hereingestürmt, völlig außer sich, und sagte gleich, dass seine Frau im Sterben liege und Ihr mitkommen müsstet. Als ich antwortete, dass Ihr außer Haus wäret, packte er mich an den Schultern und schüttelte mich. Es ist nicht mehr viel Zeit, rief er immer wieder. Ich hab’s richtig mit der Angst bekommen. Hoffentlich ist er jetzt nicht –»
«Schon gut», murmelte Catharina. Eilig holte sie
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