Die Hexe von Freiburg (German Edition)
wurde auf dem kleinen Kirchhof von St. Cyriak bestattet. Wunderschön sah sie aus, wie sie da auf dem weißen spitzenbesetzten Leinen aufgebahrt lag, zufrieden und sanft, aber auch stolz, so wie sie zu Lebzeiten gewesen war. Fast das gesamte Dorf nahm von ihr Abschied.
Ich danke Gott heute noch dafür, dass ich sie noch einmal sehen durfte, denn gerade als ich eintraf, wollten sie den Sarg schließen und der geweihten Erde übergeben.
Der erste Augenblick war schrecklich. Als mir die Leute vom Dorf entgegengelaufen kamen, weigerte ich mich, an Mutters Tod zu glauben, war es doch erst vier, fünf Wochen her, dass wir beide in der Küche gestanden, zusammen gelacht und mit meinem kleinen Matthias gespielt hatten. Sie schlief sicher nur. Doch als ich ihre Wange berührte, sie war kalt und wie Porzellan, stieß ich wohl einen Schrei aus und verlor für Sekunden das Bewusstsein. Ich erwachte in Raimunds Armen, neben meinem Mann stand Christoph. Er sagte leise:
«Wenn Catharina an diesem Morgen nicht gekommen wäre, wäre Mutter noch am Leben.»
Erschrocken sah ich mich um, ob Cathi seine Worte gehört hatte, doch sie stand weit weg von uns, den Blick abgewandt.
«Das darfst du nicht sagen.» Ich versuchte, meine Gedanken zu ordnen. «Du darfst ihr keine Schuld geben. Versprich mir das.»
Doch er drehte sich um und ging davon.
Später, bei der Totenfeier, hielt er Abstand von Catharina und mir. Vielleicht hätte ich den Dingen besser ihren Lauf gelassen, aber das ist nun mal nicht meine Art. Ich stand also auf, ging zu meinem Bruder und führte ihn hinaus.
«Hör auf, Cathi etwas vorzuwerfen. Ebenso gut könnte ich dich fragen, warum du Mutter nicht daran gehindert hast, allein loszufahren. Nein, Christoph, keinen von euch trifft Schuld. Du weißt doch, was für ein Dickkopf Mutter war, wie leichtsinnig sie sein konnte.»
«Du hast Recht.» Um seine Augen lagen tiefe Schatten. «Und weil ich das wusste, hätte ich allein das Unglück verhindern können. Eben am Grab habe ich Cathi Unrecht getan, und das tut mir Leid.»
Tränen liefen über sein Gesicht.
«Aber warum gehst du ihr dann aus dem Weg?»
«Ich weiß nicht – es schmerzt so furchtbar, dass Mutter nicht mehr da ist, und ich habe Angst, dass ich bald ganz allein sein könnte. Sofie hat nicht mehr lange zu leben, ich weiß es, auch wenn sie nicht mit mir darüber spricht. Und du lebst im fernen Elsass. Cathi hat sich von mir zurückgezogen. Was bleibt mir denn noch?»
«Warte hier. Rühr dich nicht von der Stelle. Ich hole Catharina, und dann sprecht ihr miteinander. Sie glaubt nämlich, dass du sie jetzt hasst.»
Die arme Catharina – was hatte sie in diesen Tagen durchmachen müssen. Und nur wenige Wochen später kamst du auf die Welt.
Lene war die Einzige gewesen, die trotz des furchtbaren Unglücks sofort erkannt hatte, was mit ihrer Base los war. Nach der Trauerfeier brachte sie Catharina zur Kutsche.
«Du erwartest ein Kind, und niemand darf es erfahren. Ist es so?»
Catharina nickte. Sie erzählte, dass sie es nicht übers Herz gebracht hatte, das Ungeborene wie ein Furunkel oder Geschwür wegmachen zu lassen. Dass sie daran gedacht habe, die Zeit vor der Geburt bei Lenes Familie im Elsass zu verbringen, das Kind dort auf die Welt zu bringen und dann den Dominikanerinnen in Colmar zu übergeben. Sie habe gehört, dass dort Neugeborene an unfruchtbare Frauen aus guten Familien vermittelt würden. Sie bete dafür, dass ihr Kind das Glück haben werde, eine liebevolle Familie zu finden.
An dieser Stelle hielt Catharina inne. Zu dreist erschien ihr plötzlich ihre Bitte. Schweigend betrachtete sie den kleinen Matthias auf Lenes Arm, dem vor Müdigkeit die Augen zufielen.
«Das kommt alles sehr überraschend.» Lene schien zu überlegen. «Du kannst auf jeden Fall zu uns kommen. Ich werde mit Raimund reden, und wir werden eine Lösung finden.»
Die Wochen, die nun folgten, hätte Catharina am liebsten aus ihrem Leben getilgt. Es ging ihr viel schlechter, als sie erwartet hatte, nicht nur körperlich. Unter dem Vorwand, sich von Marthes Tod erholen zu müssen, verbrachte sie den ganzen Oktober in Ensisheim. Michael schöpfte keinen Verdacht, bei Barbara war sie sich nicht so sicher, aber die Köchin war taktvoll genug, keine Fragen zu stellen. Lene und ihr Mann taten alles Erdenkliche, um ihr Geborgenheit zu vermitteln, doch Catharina wurde zusehends niedergeschlagener. Kurz vor der Niederkunft führte Lene ein langes Gespräch mit ihr.
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