Die Hexe von Freiburg (German Edition)
es sie nach draußen. Doch im Laufe der Zeit legten sich die Zwänge und Verbote, denen sie ausgesetzt war, wie ein unsichtbarer Panzer um ihre Seele und erstickten ihre Energie.
Immer häufiger saß sie den ganzen Tag über am Fenster ihrer Schlafkammer und starrte hinunter auf den verkrüppelten Birnbaum im Hof. Sie beobachtete die Krähen in den kahlen Ästen, die Hühner, die im Dreck scharrten, und ihr Kopf war dabei angenehm leer. Sie magerte ab, da halfen weder Barbaras Kochkünste noch Elsbeths gut gemeinte Ermahnungen. Catharina schien sich von der Außenwelt verabschieden zu wollen.
Siferlin rieb sich erwartungsvoll die Hände, als er Catharina eintreten sah. Ihre Geldgesuche stellten einen der wenigen Glanzpunkte seines Alltags dar. Er dachte an die Zeit, als sie selbst noch die Ausgabenbücher für den Haushalt geführt hatte und hin und wieder Einblick in seine Bücher verlangte, um zu erfahren, wie es um die Gewinne der Werkstatt stand. Was für Schreckensmomente waren das jedes Mal für ihn gewesen, doch damit war es nun für immer vorbei. Nie wieder würde er vor ihr und ihrem scharfen Verstand zittern müssen, jetzt hatte er sie in der Hand.
Er bot ihr einen Platz vor seinem Schreibpult an, doch sie blieb mit trotziger Miene stehen. Befriedigt stellte er fest, wie grau und faltig ihr Gesicht geworden war. Ihre einstige Schönheit, diese ständige Versuchung der Männerwelt, verwelkte. Wahrscheinlich würde sie nicht einmal mehr das Verlangen eines Benedikt Hofer entfachen können.
O ja, er hatte schon nach kurzer Zeit über ihre Liebschaft mit dem Gesellen Bescheid gewusst. Wie konnte sie nur glauben, dass man so etwas vor ihm, Hartmann Siferlin, geheim halten könne. Nahe dran war er gewesen, sie zu verraten, doch in jener Zeit hätte sein Dienstherr kaum ein Ohr für diese Dinge gehabt, denn es trieb ihn fast täglich zu den Peitschenhieben seiner Geliebten. Außerdem gereichte ihm die Tatsache, dass die beiden Eheleute so vollkommen von ihren widerlichen Ausschweifungen beherrscht waren, zum Vorteil: Er konnte sich von den Erlösen der Werkstatt unbemerkt abzweigen, was ihm seiner Meinung nach zustand.
«Habt Ihr nicht gehört, Siferlin? Ich brauche Geld für neue Fleischtöpfe.»
«Ob Ihr das wirklich braucht, entscheide immer noch ich, falls Ihr das vergessen habt.»
Er lehnte sich zurück. Die Zeit, gegen diese Frau vorzugehen, war noch nicht gekommen. Leider hatte sein Gerücht, sie habe Bantzer verhext und ihm die Männlichkeit genommen, kaum gefruchtet. Offenbar genoss sie immer noch zu viel Ansehen in der Stadt. Doch eines Tages würde er sie vernichten.
Catharina schlug mit der flachen Hand auf den Schreibtisch. «Wenn Ihr Euch dumm anstellt, komme ich später wieder. Zusammen mit Barbara.»
«Schon gut, schon gut.»
Siferlin kramte den Schlüssel für die Geldkassette aus der Schublade. Niemals sollte dieses riesige, fleischige Weibsbild sein Kontor betreten. Wenn es jemanden gab, den er fürchtete, dann war es die Köchin Barbara.
Der einzige Mensch, mit dem Catharina sich noch hin und wieder traf, war Margaretha Mößmerin. Das Schicksal hatte diese Frau kaum weniger hart angepackt: Ihr Mann war wenige Monate nach seinem Rücktritt gestorben, ihr Schwiegersohn hatte sich mit einem Berg Schulden irgendwo ins Badische abgesetzt, und Susanna war mit einem neuen Liebhaber auf und davon – ihre dreijährige Tochter, die schwachsinnig auf die Welt gekommen war, hatte sie im Haus ihrer Mutter zurückgelassen. Margaretha verkaufte das vornehme Haus am Fischmarkt, zahlte die Schulden ihres Schwiegersohns zurück und zog mit der kleinen Anneli in ein bescheidenes Häuschen an der Mehlwaage.
Obwohl Catharina wusste, wie schwer es ihre Freundin hatte, beneidete sie sie manchmal um ihre Freiheit. Margaretha entschied über jeden ihrer Schritte selbst. Den Vormund, den die Schneiderzunft ihr zur Seite gestellt hatte, ignorierte sie einfach, was immer wieder zu Reibereien führte.
«Ich sehe nicht ein, dass ich mir in meinen letzten Lebensjahren noch von irgendeinem Fremden Vorschriften machen lasse», sagte sie einmal zu Catharina. «Wenn mir die Zunft und der Magistrat deswegen die Rente streichen wollen, dann werde ich eben den ganzen Tag arbeiten gehen, und sei es als Dienstmagd.»
So unterschiedlich die Lebenssituation der beiden Frauen war, in einer Beziehung erging es ihnen gleich: Sie waren einsam. Catharina, weil sie eingesperrt war wie ein Vogel in seinem Käfig,
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