Die Hexe von Freiburg (German Edition)
berührte.
«Geh weg», rief sie ihm mit letzter Kraft zu. «Du kommst zu spät, viel zu spät.»
Ihr Bettlaken war durchgeschwitzt, als sie von einem lauten Klopfen an der Tür geweckt wurde. Was hatte sie da um Himmels willen nur geträumt? Es klopfte erneut, und Elsbeth steckte den Kopf herein.
«Entschuldigt, wenn ich Euch geweckt habe. Unten steht ein Fremder vor der Tür. Er sagt, es sei sehr wichtig.»
Catharina sprang aus dem Bett und warf sich hastig einen Umhang über.
«Ich habe hier ein Schreiben, dass ich nur an Catharina Stadellmenin aushändigen darf», sagte der Unbekannte.
«Das bin ich!»
Stirnrunzelnd nahm sie den Brief entgegen. Wer sollte ihr schreiben? Auf dem Umschlag standen weder ihr Name noch ein Absender.
Sie zog sich in ihre Kammer zurück und öffnete ohne Eile das Papier. Da erkannte sie Christophs Handschrift.
«Villingen, im April anno 1588.
Liebe Catharina! Jetzt, wo ich mich zum wiederholten Male zum Schreiben hinsetze, zittern mir vor Aufregung die Finger. Wie viele Briefe an dich habe ich schon angefangen und wieder zerrissen, doch dieses Mal, so habe ich mir vorgenommen, werde ich ihn zu Ende schreiben und einem Freund mitgeben, der nächste Woche nach Freiburg reitet. Er wird ihn dir entweder persönlich geben oder ihn mir wieder zurückbringen.
Vor etwa drei Jahren habe ich dir schon einmal einen Brief geschickt, mit einem Villinger Boten, doch du hast nie geantwortet. Von Lene erfuhr ich später, dass dein Mann alle Briefe an dich abgefangen hat und dich auch sonst wie eine Gefangene hält. Ich gehe also davon aus, dass du mein Schreiben nie erhalten hast, und so nehme ich jetzt einen neuen Anlauf.
Liebste Catharina, du glaubst nicht, wie sehr ich mich für mein Verhalten von damals schäme – heute noch, nach so vielen Jahren. Wie selbstsüchtig ich war. Ich habe nur meinen eigenen Schmerz, meine eigene Kränkung gespürt und nicht gesehen, wie sehr du selbst gelitten hast unter Mutters Tod. Zu alledem habe ich dich, als Sofie starb, brutal zurückgewiesen und bin Hals über Kopf nach Villingen geflohen. Dabei weiß ich heute, dass du dich, als ich dich an jenem Tag bei deinem Freund überraschte, von diesem Mann nur verabschieden wolltest. Lene hat mir das erzählt, obwohl du sie gebeten hast zu schweigen. Aber du kennst ja meine Schwester, in solchen Dingen hat sie ihren eigenen Kopf.
Es hat lange Zeit gedauert, bis ich aus meinem Selbstmitleid erwacht bin. Viel zu lange, und ich wage kaum zu hoffen, dass du jetzt, wo du diese Zeilen liest, für meine Worte noch ein offenes Herz hast. Ich habe immer nur an mich gedacht, Sofies Liebe zu mir wie ein selbstverständliches Geschenk angenommen und gleichzeitig gewollt, dass du mich liebst, und zwar mich allein. Ich war damals wie geblendet, ich war nicht bereit zu erkennen, dass auch du Zuwendung und Wärme brauchtest, ja, dass du sie viel nötiger hattest als ich, wo du doch mit diesem herzlosen Mann verheiratet bist. Und als ich sah, dass dir dieser Benedikt geben konnte, was du immer schon verdient hattest, wurde ich rasend vor Eifersucht. Dabei weiß ich jetzt, wie Recht du hattest, als du mir die leibliche Liebe verweigert hast, denn wir hätten Sofie damit verraten und uns alle unglücklich gemacht. Stattdessen warst du so vernünftig und hast mir deine Freundschaft angeboten, die ich wie ein trotziges kleines Kind mit Füßen getreten habe!
Jeden Tag frage ich mich, wie es dir geht und natürlich auch, ob du mich schon vergessen hast. Auch Lene denkt an dich, das soll ich dir unbedingt ausrichten, und sie wäre längst einmal nach Freiburg gekommen. Doch ihr Mann ist an den Hof von Kaiser Rudolf versetzt worden, und Wien ist kaum weniger weit als Afrika oder Indien. Die Zwillinge sind längst verheiratet und arbeiten beide im Elsass: Carl als Weinbauer und Wilhelm als Metzger. Und was mich betrifft: Ich habe mich nicht wieder vermählt. Mein Schwiegervater, der mittlerweile alt und sehr krank ist, hätte das auch nicht verwunden.
Aber nicht ihm zuliebe bin ich allein geblieben, auch nicht dir zuliebe – ich verspüre einfach kein Bedürfnis, mich an eine Frau zu binden. Stattdessen habe ich mich die letzten zehn, zwölf Jahre in Arbeit gestürzt, das Gasthaus vergrößert und neu ausgestattet, sodass es jetzt das erste Haus am Platz ist, wo Edelleute und Grafen absteigen. Ich könnte zufrieden sein, fühle aber immer häufiger eine große Leere in mir. Außerdem mache ich mir Sorgen um meine beiden Kinder:
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