Die Hexe von Freiburg (German Edition)
Hauptattraktion unseres Unternehmens: Rochus Agricola, der Mann ohne Hände und Beine, der manche Arbeiten geschickter verrichten kann als jeder von Ihnen.»
Der grauhaarige Mann, der auf einem winzigen Stuhl an einem ebenso winzigen Tisch saß, verneigte sich.
«Meister Agricola ist schon verkrüppelt auf die Welt gekommen. Nichtsdestoweniger kann er ohne Hilfe essen, zeichnen, sich selbst barbieren, ja sogar auf Anhieb einen Faden einfädeln.»
Der Bärtige legte ihm Nadel und Faden auf das Tischchen. Meister Agricola klemmte mit seinem rechten Armstumpf die Nadel aufrecht gegen die Tischkante, nahm dann mit dem Mund den Faden auf und führte ihn zielsicher in die Nadel ein. Die Zuschauer applaudierten. Anschließend malte er mit Tusche einen verblüffend echten Rosenstrauch, indem er die Feder mit dem Mund führte. Dann rasierte er sich geschickt die wenigen Barthaare, das lange Messer fest zwischen die beiden Armstümpfe geklemmt. Zu den Klängen eines lustigen Trinklieds, das Agricola auf seinem Hackbrett zauberte, verließen sie das Zelt.
Christoph schien ein wenig enttäuscht über die Darbietungen, er hatte sich wohl mehr erhofft. Auch Catharina war es schade um ihr Geld, wenn auch aus einem anderen Grund.
«Die armen Menschen, hast du gesehen, wie traurig sie alle ausgesehen haben? Da hat es die Maschine noch am besten, die spürt wenigstens nichts.»
«Glaubst du im Ernst, dass das ein Automat war? Der Mann war doch genauso aus Fleisch und Blut wie wir beide», gab Christoph zurück, aber Catharina ließ sich nicht überzeugen.
Draußen war der Himmel inzwischen wolkenlos blau, und auf der Wanderbühne an der Nordseite des Münsters hatte die Vorstellung bereits begonnen. Eine kräftige Frau mit langen blonden Haaren saß auf einem Bett und strich gerade einem jungen Mann, der vor ihr auf dem Boden kniete, über die Haare: «O Geliebter, niemals werden wir uns trennen.» Catharina lachte. Sie merkte sofort, dass diese Frau ein Mann war, mit Perücke, rot geschminktem Mund und einem viel zu großen Busen unter seinem Kleid. Als die verkleidete Frau ihren Liebhaber zu sich auf das Bett zog, sah man auf der anderen Bühnenseite einen dicken, glatzköpfigen Mann auf einem Stock mit Pferdekopf an der Spitze heranhüpfen. Wieder gurrte die Frau in höchsten Tönen: «Du bist so anders als Hans, dieser tumbe Tor, der nichts von Frauen versteht.»
Neben Catharina begannen einige Zuschauer zu kichern und knufften einen älteren, schon etwas betrunken wirkenden Mann in die Seite. «Hast du gehört, Hans?» – «Weißt du, was deine Susanne in diesem Moment gerade treibt?» – «Geh doch mal nachschauen.»
«Lasst mich in Ruhe», knurrte der Gefoppte ärgerlich.
Auf der Bühne spitzte sich die Situation jetzt zu. Die beiden Ehebrecher wälzten sich laut stöhnend auf dem Bett, als der heimgekehrte Ehemann unbeholfen vom Pferd stieg und rief: «Susanne, mach sofort die Tür auf!»
Das war zu viel für die Gruppe neben Catharina und Christoph. Sie johlten und lachten über die Namensgleichheit, während der echte Hans feuerrot anlief.
«Das ist eine Unverschämtheit, mich und meine Frau so in den Dreck zu ziehen», schrie er und stürzte zur Bühne. Die Schauspieler, sichtlich irritiert über den wütenden Zuschauer, unterbrachen ihr Spiel. «Weitermachen!», brüllte die Menge. Da kletterte der echte Hans auf das Podest, nahm das Steckenpferd und schlug es dem falschen Hans an den Kopf. Die beiden Liebhaber stürzten herbei, und alle vier fielen bei dem Handgemenge von der Bühne. Bald wusste keiner mehr, wer hier gegen wen haute und schlug. Zwei Stadtwächter bahnten sich ihren Weg durch die lärmende Menge, wurden aber wieder zurückgedrängt.
Christoph und Catharina versuchten, sich in Sicherheit zu bringen.
«Los, komm, dort hinüber.» Christoph zog seine Base zur Nordpforte des Münsters, die zum Glück offen stand. Im Chor setzten sie sich auf eine Steinstufe und holten Luft. Obwohl Catharina einen heftigen Schlag gegen die Schulter abbekommen hatte, musste sie über die Situation lachen.
«Die Leute sind froh, wenn sie raufen können. Genauso wie bei uns auf dem Dorf.»
Christoph betrachtete das Farbenspiel, das die Sonne durch die bunten Fenster auf den Steinboden zauberte. Er wirkte verlegen, als er den Blick hob.
«Gehen wir tanzen.»
Der Rest des Tages verging viel zu schnell. Auf der Tanzdiele trafen sie Lene wieder, die mit Schorsch, dem aufgeblasenen Sohn des Stellmachers, über die
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