Die Hexe von Paris
meinem Mund. »Es kommt so plötzlich – Ihr – Ihr müßt mir gestatten, mich zu bedenken –«
»Bedenke dich nicht zu lange. Er bleibt womöglich nicht immer arm. Im Augenblick hat er es darauf abgesehen, an den Spieltischen zu gewinnen, darum wendet er dir sein Interesse zu.« Die Sache gefiel mir nicht. Ich brauche das Glas nicht, um zu sehen, wie diese Ehe ausgehen wird, dachte ich. Habe ich ihn erst reich gemacht, wird er eine neue Braut wollen, eine aus einer illustren Familie. Dann wird er die Schattenkönigin um eine Substanz aus ihrem verschlossenen Schrank ersuchen, und ich werde fortan achtgeben müssen, was ich trinke. Es sei denn natürlich, ich tue den ersten Schritt.
»Keine Sorge, meine Liebe«, sagte La Voisin und tätschelte mir die Hand, als hätte sie meine Gedanken gelesen. »Eine Witwe mit einem Titel ist beinahe so gut versorgt wie eine Ehefrau. Und du wirst durch deine Vermählung zu hoch aufgestiegen sein, als daß man dir bei Hof etwas anhaben könnte. Dein Wohl wird mir stets am Herzen liegen. Schließlich betrachte ich dich beinahe als meine Tochter.«
»Ich könnte meiner Mutter nicht mehr Vertrauen schenken«, sagte ich und sah sie über meinem Fächer mit unschuldigen, großen Augen an.
Dampfiger Geruch von Knoblauch und kochendem Rindfleisch schlug mir ins Gesicht, als ich in meine Eingangsdiele trat. »Irgendwelche Einladungen, Mustafa?« fragte ich hoffnungsvoll.
»Nicht eine einzige, Madame. Jeder, der auf sich hält, befindet sich entweder mit dem Hof in Fontainebleau oder ist vor der Hitze auf seine Güter geflohen.« Kein Hoffnungsschimmer. Keine Errettung vor dem Knoblauch, nicht einmal für wenige Stunden. Mustafa entnahm seiner breiten türkischen Schärpe einen Fächer und begann träge, die stickige Luft um sein Gesicht zu wedeln, so daß ein kleiner Windhauch entstand.
»Kein Glück«, bemerkte er philosophisch. »Ich hoffte Eure Schleppe an einen kühleren Ort zu tragen als diese Suppenhöhle. Vielleicht zähle ich besser die Weinflaschen im Keller.«
»Nicht in diesen Kleidern«, fauchte ich und stieg die Treppe hinauf. Oben, in meinen einst schönen Räumen, die nun mit fremden Möbelstücken vollgestellt waren, überfiel mich eine meiner ungebetenen Besucherinnen.
»Endlich hat mein armer Neffe auf seinem Schmerzenslager gesprochen –«
Ich hatte eine Vision von d'Urbec, der sein Gesicht stundenlang zur Wand drehte, totenstill aus purem Verdruß. » – und mit den ersten Worten, die ihm über die blassen, fiebrigen Lippen kamen, hat er Euch freigesprochen.«
»Mich freigesprochen?«
»Oh, wie konnte ich jemals an Eurer Wohltätigkeit zweifeln, Ihr heiligmäßiges Kind? Den kostbarsten Besitz einer Frau, ihren guten Ruf, aufs Spiel zu setzen, um einen Helden vor einer gräßlichen Bande von gedungenen Mördern zu retten.«
Interessant, dachte ich. D'Urbec ist zu dem logischen Schluß gekommen, daß eine einmal begonnene Geschichte nur durch eine neue, noch bessere aus der Welt zu schaffen ist. »Man denke nur«, sprach sie weiter und faltete die Hände, »eine zarte junge Witwe von hohem Stande, noch in das tiefe Schwarz der Trauer gekleidet, wagt sich mit nur einer einzigen Kerze auf die gefahrvolle Straße, in einem Akt reiner christlicher Nächstenliebe. Es ist ganz wie in einer Romanze –«
»Nun ja, es ist wahr, da Ihr es nun erwähnt«, konnte ich mich nicht enthalten zu erwidern.
»Aber freilich nicht überraschend. Florent ist der gescheiteste und erfolgreichste meiner Neffen. Es ist nur natürlich, daß er die Aufmerksamkeit auch der wählerischsten Dame auf sich ziehen würde. Schon als lieber kleiner Knabe, als seine Mutter mit ihm und seinem Brüderchen und Schwesterchen zu Besuch kam, konnte er wunderbar lesen. Wir saßen stundenlang und nähten, während er uns ›Astrée‹ oder ›Clelie‹ vorlas, ganz als verstünde er die Geschichte wie ein Erwachsener. Als ich ihm carte de tendre zeigte, beherrschte er es im Nu. Brillant! Ausgesprochen brillant! Und jetzt so eine zauberhafte Begegnung –« Sie brach ab, als ein ärgerliches Brummen aus der Bedientenkammer zu vernehmen war.
»Ich sage Euch, Mutter, ich kann nicht einen einzigen Schluck mehr davon trinken! Ich ersaufe in Rindsbrühe – nein, weint nicht – ich bin Euch dankbar. Ihr habt mir das Leben gerettet –«
»Florent, was ist das für eine große Kiste hier an der Türe?« rief ich in die Kammer hinein.
»Florent?« vernahm ich einen verzückten Seufzer hinter mir.
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