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Die Hexe von Paris

Titel: Die Hexe von Paris Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Judith Merkle-Riley
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dafür gesorgt, daß mein Sohn alles bekam. Und was hat er getan? Undankbar.« Sie schüttelte den Kopf. »Undankbar.« Übelkeit und Haß schlugen wie Wellen über mir zusammen. Ich begann unbeherrscht zu zittern.
    »Ich muß jetzt gehen, Madame«, sagte ich, alle Kraft zusammennehmend, die noch in mir war. Die alte Frau tappte wieder in der Kammer umher; sie tastete nach etwas. Sie verstellte die Türe.
    »Du bist wirklich gekommen. Ich erkenne deine Stimme, Marie-Angélique, hast du das Geld mitgebracht?« Sie tastete sich wimmernd durch die Kammer, dorthin, woher sie meine Stimme vernahm.
    »Ja, Mutter, ich habe das Geld mitgebracht.« Ich stülpte meinen Geldbeutel um und drückte ihr den Inhalt in die gelbgefleckte Hand. Fünf Louisdors und ein wenig Kleingeld. Sie befühlte die Münzen vorsichtig und hielt sie ins Licht des Fensters.
    »Was ist das? Nur fünf Louisdors? Marie-Angélique, ich habe dich reich gemacht. Du bist eine niederträchtige Tochter. Du warst einst ein gutes Kind. Wo bleibt deine Dankbarkeit? Du böses, böses Mädchen, bringst deiner Mutter nur fünf Louisdors! Nach allem, was sie für dich getan hat – ah, ein Glück, daß ich noch schön bin. Ich werde meinen Weg ohne dich machen –«
    Ich floh zu der wartenden Kutsche. Auf dem Pont-Neuf hieß ich den Kutscher anhalten. Am ganzen Leibe zitternd, zwängte ich mich zwischen einem Naschwerkverkäufer und einer Bettlerin an das Brückengeländer und warf die Giftphiole in die Seine.
    Noch lange stand ich dort und blickte auf das strudelnde Wasser. Inmitten von Bettlern und Händlern pries ein Psalmensänger vor aufgestellten Heiligenbildern die Wege des Herrn. Es klimperte, wenn jemand ein Geldstück in seinen Becher warf. Das Geschrei der vorüberdrängenden Träger und Kutscher schien zu verklingen, und ich stand da wie in unendlicher Einsamkeit und stellte mir vor, wie die kleine grüne Phiole auf den Grund des Flusses sank. Hatte ich recht getan? Was war denn Recht oder Gerechtigkeit? Wie wiegen die Waagschalen der Logik Rache gegen Mitleid auf? Monsieur Descartes, Ihr habt mir keine Antworten gegeben.
    »Mademoiselle, es ist ein Verbrechen, zu springen, und eine Vergeudung, einfach still in der Kälte zu stehen. Schickt Eure Kutsche fort, und ich bringe Euch nach Hause.« Ich drehte mich um. Ein Herr in einem karmesinroten Leibrock, nach der neuesten Mode geschneidert, und einem dicken Umhang mit Goldstickerei stand hinter mir und musterte mich. Unter einem funkelnagelneuen Federhut fiel eine dunkle Perücke bis auf seine Schultern. Selbst in diesen ungewohnten Kleidern waren die selbstgewisse Miene und die blitzenden, intelligenten dunklen Augen unverkennbar. Es war d'Urbec.
    »Monsieur d'Urbec, ich kann in diesen Kleidern nicht weit gehen«, sagte ich.
    »Ich habe neuerdings eine Equipage – monatlich gemietet bei demselben Unternehmen, aus welchem die Eure kommt.« Mit einem ironischen Lächeln zog er den Hut zu einem formvollendeten Gruß.
    »Seid Ihr mir hierher gefolgt?« fragte ich argwöhnisch.
    »Euch gefolgt? Nein. Aber Ihr müßt zugeben, eine Dame in Witwentracht aus der Zeit von Henri Quatre zieht die Blicke Neugieriger auf sich. Zumal wenn sie den Fischen eine recht kostspielige Parfümflasche zuwirft und dann länger als schicklich dasteht und ins Wasser starrt. Sagt mir – hattet Ihr die Absicht, es selbst zu trinken?« Seine Stimme war ruhig.
    »Nein, der Duft war so vulgär, daß er nicht zu ertragen war, das ist alles.«
    »Es gibt bessere Methoden, dem Kontrakt mit der Königin der Schatten zu entkommen.«
    »Die Schattenkönigin? Nennt auch Ihr sie so?«
    »Eine Bezeichnung, auf die ein intelligenter Beobachter von selbst verfällt. Die Göttin der Unterwelt. Die Kaiserin der Hexen. Die Königin der Zauberinnen. Das Reich des Sonnenkönigs hat seine dunklen Stätten, welche mir wohlbekannt sind. Wie viele Jahre hat sie von Euch gefordert für diesen – äh – Wohlstand?« Er deutete auf mein schwarzes Seidenkleid, die wartende Kutsche. »Zwanzig? Sieben?«
    »Nur fünf, und das ist nur billig und recht angesichts dessen, was sie für mich getan hat.«
    »Fünf? Und was geschieht nach den fünf Jahren?«
    »Ihr denkt vielleicht, sie bemächtige sich meiner Seele wie Beelzebub in einer Legende aus dem Mittelalter? Nein – hier handelt es sich um eine moderne geschäftliche Beziehung. Sind wir fertig, gehen wir unserer Wege.«
    »Seid Ihr dessen so sicher? In dieser Stadt sind Parfümeure, Coiffeure,

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