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Die Hexe von Paris

Titel: Die Hexe von Paris Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Judith Merkle-Riley
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Wahrsagerinnen und auch weniger appetitliche Berufsstände an die eine oder andere der mächtigen Damen der Unterwelt gebunden, von denen die Eure wohl die Anführerin ist. Und allem Anschein nach sind sie zeit ihres Lebens gefesselt.«
    »Das ist nur Freundschaft und gegenseitiger Beistand. Es sind geschäftliche Freundschaften, nicht anders als die des königlichen Konditors. Mächtige Gönner sind im Geschäft ebenso förderlich wie bei Hofe.«
    »He, Ihr, fahrt die Kutsche beiseite. Ihr verstellt der Equipage des Kardinals Altieri den Weg.«
    »So«, sagte d'Urbec, als er mir in seine Kutsche half und sich dann umwandte, um meinem Kutscher ein Trinkgeld zu geben, da er ohne mich nach Hause fuhr, »wir müssen unseren Disput über Geschäftsmethoden unterbrechen, sonst laufen wir Gefahr, um der Dienlichkeit des Kardinals willen zerstückelt zu werden.« Binnen kürzester Zeit waren wir zwischen Rollwagen, Arbeitern und Marktfrauen eingekeilt.
    »Nun wir alleine sind, sagt mir ins Gesicht, daß die Phiole kein Gift enthielt.« Er lehnte sich auf seinem Sitz zurück und sah mich aus halb geschlossenen Augen an.
    »Doch«, sagte ich schlicht. Er blickte finster. »Ich wollte es nicht mehr«, setzte ich hinzu. Als ich seinen Gesichtsausdruck sah, bemühte ich mich, heiter zu sein. »Es schickt sich einfach nicht für Philosophen.«
    »Nur, wieviel von Euch ist gegenwärtig noch Philosoph, und wieviel ist Hexe?« fragte er in trügerisch gelassenem Ton.
    »Zuviel Philosoph, zuwenig Hexe«, erwiderte ich.
    »Kurzum, kleine Hexe, nichts hat sich geändert.«
    »So könnte man sagen.«
    »Nur, daß Ihr Euch mit Lamotte trefft.« Ich muß überrascht ausgesehen haben. »Aber, aber, Ihr habt doch nicht erwartet, daß ich das Geheimnis nicht sofort erriet, welches halb Paris zu ergründen versucht? Wie muß es Euch schmeicheln, eine Muse der Inspiration zu sein, und wie muß es ihn freuen, des Morgens in den Spiegel zu schauen und auszurufen: ›Wer ist jetzt der Klügere, d'Urbec? Selbst die Philosophie huldigt dem Liebreiz.‹« Seine Bitterkeit erschreckte mich.
    »Aber Ihr – Ihr habt Euch verändert. Ihr seid so – so wohlhabend.«
    »Das ist nur die Anwendung der Wissenschaft auf die Kunst des Kartenspiels. Als ich die Notwendigkeit erkannte, außerordentlich reich zu werden, beschloß ich, eine geometrische Formel anzuwenden, die ich einmal in bezug auf die Wahrscheinlichkeit, daß eine bestimmte Karte ins Spiel kommt, aufgestellt habe. Entsprechend wette ich. Manchmal verliere ich, meistens gewinne ich. Mit zunehmendem Wohlstand werde ich in immer bedeutendere gesellschaftliche Kreise eingeführt. Spieler, die hohe Einsätze wagen, sind überall willkommen. Wenn ich genug angesammelt habe, werde ich mehrere Kontore für Steuereintreibung erwerben und in die Welt der Hochfinanz eintreten.«
    »Ich dachte, Ihr haßt solche Leute.«
    »Haß oder Liebe werden das Schicksal dieser Nation nicht ändern. Ich weiß nun, wo das schnelle Geld sich verbirgt. Das scheint mir der größte Vorteil des Studiums der politischen Ökonomie zu sein.« Der harte Ton seines kleinen Vortrags paßte so wenig zu ihm, daß ich erschrak.
    »Etwas stimmt nicht mit Euch, Florent. Was ist aus Olivier geworden?«
    »Scharfsichtig wie immer, Mademoiselle.« Seine Miene war hart. »Olivier ist tot. Der klügste von uns allen. Vergangene Woche in Marseille hingerichtet, trotz aller Einsprüche, die ich vorbringen konnte. Sein Vermächtnis, ein Schrank voller Pläne für neue Erfindungen an Uhrwerken, einschließlich eines selbstauslösenden Zünders für infernalische Maschinen. Sie haben ihn erhängt wie einen Bauern.«
    Ich schlug mir die Hand vor den Mund. »Oh, das tut mir leid.« Jetzt konnte ich mir die Ringe unter seinen Augen erklären, die Hagerkeit in seinem Gesicht. Er saß nun stumm, mit den Gedanken weit fort, während ich auf meine verschränkten Hände sah. Als die Kutsche vor meinem Hause hielt, fragte ich: »Möchtet Ihr hereinkommen? Habt Ihr einen Wunsch?« Seine berechnenden Augen betrachteten mich, wie mich dünkte, eine Ewigkeit. Sein Blick schien geradewegs durch mich hindurchzugehen und sich in mein Rückgrat zu bohren.
    »Ich habe einen Wunsch, und Ihr habt mir die Entscheidung abgenommen. Ich komme nicht herein. Ich werde mich für eine Weile in den Süden begeben. Mutter braucht mich. Vater ist ein unnützer Irrer geworden, die Arbeit schludert ohne Oliviers Anleitung, und die ganze Familie ist verwirrt. Erfreut Euch an

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