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Die Hexe von Paris

Titel: Die Hexe von Paris Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Judith Merkle-Riley
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es besser, dachte ich. Ein heißes, parfümiertes Bad. Eine Ader aufschneiden.
    Und wenn das Rot das Wasser färbte, zurücklehnen und langsam zur einlullenden Harfenmusik entschlafen. Wir sind noch nicht so kultiviert wie die Römer.
    Das Rattern einer nahenden Kutsche drang kaum in meine Träume. Ich zitterte entsetzlich. Es gab keinen anderen Weg. Überdies war ich nichts als ein Häufchen unordentlich montierter Rädchen und Getriebe. Mein Leben, es war ein einziger Irrtum – aber der Schrei des Kutschers, das Geräusch stampfender Hufe brachen wie Eissplitter in meine Gedanken. Und dann vernahm ich hinter mir vom Kutschenfenster her eine Stimme: »Er ist kalt, der Fluß. Ich möchte meinen, ein kluges Mädchen wie du wüßte etwas Besseres zu tun.« Es war die Schattenkönigin.

KAPITEL 6
    S teig ein«, sagte die Wahrsagerin aus der Rue Beauregard, »oder möchtest du dein Vorhaben lieber zu Ende führen?« Ihr Lakai hatte den Schlag der Kutsche geöffnet, ein unauffälliges schwarzes Gefährt mit rotgoldener Umrandung. Zwei hübsche Braune mit messingbesetztem Geschirr bliesen Atemwölkchen in die eisige Luft. Ich konnte sie drinnen sitzen sehen, in einem schweren, mit Seidenkordeln eingefaßten Umhang und einem breiten Hut über einem wollenen Schal, der ihre Haare fast verdeckte. Eine pelzgefütterte Kniedecke war zurückgeschlagen und enthüllte ihre Füße, die in roten Lederstiefeln auf einem kleinen, mit warmen Kohlen gefüllten Metallkasten ruhten. Sie wies auf den Sitz ihr gegenüber, wo eine ähnliche Decke lag. »Ich will es mir angelegen sein lassen, dein Glück zu machen, wenn du es wünschest – es sei denn, du bist von dem tiefen Verlangen besessen, den anderen im Keller des Châtelet ausgestellten Wasserleichen Gesellschaft zu leisten. Überaus feucht und unansehnlich.«
    »Ich verdiene es nicht zu leben.« Meine Stimme klang matt.
    »Nicht mehr und nicht weniger als alle anderen in dieser Stadt«, sagte sie leichthin. »Was ist es diesmal? Mord? Vergewaltigung? Erpressung? Inzest? Lappalien – das Gewöhnlichste vom Gewöhnlichen in dieser großen Stadt. Was bringt dich auf den Gedanken, dich über alle anderen erheben, die Hände ringen und ein insgesamt gutes Leben in einen gräßlichen, kalten Fluß werfen zu können?« Ich starrte auf das mit Brokat ausgeschlagene Innere der Kutsche. Es sah behaglich und warm aus. Dann blickte ich wieder über das schneebedeckte Brückengeländer. »Wer bist du, dich zu richten?« fuhr sie schmeichelnd fort. »Gott hat uns allen das Leben geschenkt, und an ihm ist es, zu richten. Ich aber bin es, die dir zu Vermögen und Glück verhelfen wird, wenn du einsteigst und hörst, was ich zu sagen habe.« Sie beugte sich vor, als könne sie an meiner zerzausten Erscheinung alles ablesen, was geschehen war. Dann machte sie eine ungeduldige Gebärde. »Entscheide dich, und zwar flugs. Du läßt die Kälte herein. Ich kann Schwächlinge nicht leiden, die sich nicht entscheiden können. Spring oder steig ein.«
    Ich stieg ein.
    »Nun«, sagte sie versöhnlich, als die Kutsche durch das Gewirr aus schmalen Häusern hinter dem Quai de Gêvres ratterte, »ist es nicht eine glückliche Fügung des Schicksals, die uns zusammengeführt hat? Ich habe dir einen ausgezeichneten geschäftlichen Vorschlag zu machen.« Fügung, fürwahr, dachte ich, denn meine Gewohnheit, logisch zu denken, war stark. Aber wie konnte jemand von den Stunden des Wahnsinns wissen, die über die Maison des Marmousets hereingebrochen waren, oder die genaue Zeit kennen, zu der ich auf der Brücke erscheinen würde? Ich war offensichtlich wahnsinnig geworden. Die Vorstellung, daß ich mich in irgendeiner Weise geschäftlich betätigen könnte, bestätigte es. Es war ein Wahn. Allerdings ein solider Wahn, gewiß. Die Hellseherin sah mich an und sprach wieder: »Du bist Geneviève Pasquier, das kleine Mädchen, das in Wassergläsern liest und in großen Worten und gelehrten Redewendungen spricht wie ein altes Männchen.«
    »Ich habe mit meinem Vater Philosophie studiert.«
    »Aber, aber, welch befremdliches Tun für ein kleines Mädchen. Du warst damals kleiner, aber ansonsten bist du noch dieselbe. Das Hinken. Der nach vorn gekrümmte und seitlich verrenkte Buckel. Wie alt bist du jetzt? An die Fünfzehn? Ja, will mir scheinen.« Ihre berechnenden schwarzen Augen musterten mich. »Und, o ja, mein Beileid wegen deines Vaters. Das war sehr traurig.«
    Sie lächelte unheimlich lieb, aber mit seltsam

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