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Die Hexe von Paris

Titel: Die Hexe von Paris Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Judith Merkle-Riley
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Mein Onkel klopfte die Wandtäfelung und die Möbel nach einem hohlen Geräusch ab, das ein Geheimfach verraten könnte. Vor mir stand meine Mutter, hinter ihr mein Bruder. Sie blickten grimmig drein.
    »Wo was ist?«
    »Spiele nicht das Unschuldslamm.« Mutters Stimme war hart. »Du weißt, wo das ausländische Vermögen ist. Das Geld, das er vor Colbert und dem König versteckt hat. Er hat dir gesagt, wo sich der Schatz befindet, bevor er starb. Ich hörte ihn mit dir flüstern: Er sagte ›Schatz‹. – Glaube nicht, daß du das Erbe meines Sohnes zu deinem Vorteil verbergen kannst. Sage es jetzt, oder du wirst es nicht erleben, in seinen Genuß zu kommen.«
    »Er hat mir nichts Derartiges gesagt. Es gibt nichts dergleichen.«
    »Mein Bruder, sie ist störrisch, wie ich vorausgesagt habe.« Onkel ließ von der Verwüstung von Vaters Bibliothek ab und richtete seine kleinen Fuchsaugen auf mich.
    »Ich habe Eure Erlaubnis, Monsieur?« Er wandte sich meinem Bruder zu, dem neuen Oberhaupt des Hauses Pasquier. Mein Bruder, den seine neue Würde unerschütterlich und alt wirken ließ, nickte ernst. Da sah ich meinen Onkel nach dem langen Schürhaken greifen.
    Stunden später lag ich auf dem Fußboden des verschlossenen Turmzimmers, zitternd vom Weinen und von der bis ins Mark dringenden Kälte. Die folgenden Tage verbrachte ich ohne Nahrung in der Gesellschaft der Mäuse; die einzige Abwechslung waren die Verhöre, die mein Onkel durchführte, während meine Mutter eine brennende Kerze hielt und mein älterer Bruder wie eine Statue im Schatten stand. Am meisten aber schmerzte mich meine Überzeugung, die ganze Nachbarschaft wisse unterdessen, daß der selige Monsieur Pasquier seiner Tochter gesagt habe, wo er im Ausland, bei den Feinden Frankreichs, ein geheimes Vermögen, vor dem Zugriff Colberts sicher, versteckt hatte. Wäre ich schön gewesen, so hätten alle vor Mitleid geweint, und es wäre eine Tragödie gewesen: Cendrillon und ihre niederträchtige Familie. Ein reizendes Mädchen, ihres Vaters Liebling, die es verdiente, sich des ihr zugefallenen Schatzes zu erfreuen. Vielleicht würde ein Prinz zu ihrer Rettung kommen. Ich aber war häßlich, ein Zwerg, eine Mißgeburt, ein Affe, und ich hielt das rechtmäßige Erbe einer Familie versteckt. Der Stoff für eine Straßenkomödie: Prügelt sie, bis sie quiekt. Aha! Eine lustige Wendung! Es gibt kein Vermögen. Ein Irrtum! Verheiratet sie mit dem Gärtner, und wir haben alle etwas zu lachen.
    Sie schickten Marie-Angélique, um durch die Türe zu flüstern. »Geneviève, Schwester, wir sind immer Freundinnen gewesen, nicht wahr? Sage es ihnen doch, und alles wird wieder gut.« Aber ich konnte Onkels schwere Stiefel hinter ihr auf der Stiege hören.
    »Schwester, da ist nichts. Vater sagte zu mir, er vermache mir den Schatz der Philosophie.«
    »Ach Schwester, dann gibt es keine Hoffnung«, vernahm ich ihre geschluchzte Antwort.
    Eines Abends dann, als ich Tag und Nacht schon nicht mehr zählte, wurde die Türe aufgestoßen. Mein Oheim, seinen Spazierstock unter dem Arm, eine Kerze in der erhobenen Hand. Sein Hemd hing lose aus seinem offenen Wams. Sein Atem war schwer vom Wein. Seine Augen glühten drohend.
    »Sage es mir«, drängte er mit schwerer, vertraulicher Stimme. »Du tust klug daran, es für dich zu behalten. Was hat deine Mutter je für dich getan? Ich war es – ich bin dein Freund. Mir verdankst du alles, was du hast. Warum, glaubst du, lebst du in diesem Hause? Wer, glaubst du, hat für dich die Gebühr in Fontenay bezahlt? Hast du dich jemals gefragt, wer dich am Leben hielt, als sie dich tot wünschte? Alles verdankst du mir; ich wußte, daß du eines Tages nützlich sein würdest. Ich habe dich gerettet, weil sie eine Närrin ist, die nicht weiter sehen kann als bis zu ihrer Nasenspitze. Jetzt kannst du es mir entgelten.« Ich wollte mich verstecken; ich kämpfte, ich flehte, aber er schlug auf mich ein und schrie: »Sage es mir, sage es mir! Was kann dir das Geheimnis nützen?« Als er endlich erkannte, daß nichts da war, kein Geheimnis, entlud sich sein Zorn. Er riß an meinem Kleid, er kreischte und weinte: »Nichts, nichts! Es ist wahrhaftig nichts da!« Dann tat er das, worüber ich bis zum heutigen Tage nicht sprechen kann. Und als er sich erhob, sah er auf mich herab, die ich noch auf dem Fußboden lag, und sagte: »Hör auf zu greinen. Du solltest mir danken. Wer sonst würde eine Mißgeburt wie dich wohl nehmen?« Weinend, mein

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