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Die Hexe von Paris

Titel: Die Hexe von Paris Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Judith Merkle-Riley
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kann eine rechtschaffene Frau in schweren Zeiten tun? Eine junge Witwe – die einzige Stütze für eine Brut von Kleinen. Wasch- und Flickarbeiten, sogar Prostitution würden nicht genug einbringen, um die kleinen Mägen zu stopfen. Aber sie bereitet liebliches Rosenwasser, sie weiß Lippenrot nach einem alten Familienrezept zu mischen. Ich höre von ihr – ich zahle ihre Miete, kaufe ihren Kindern ein köstliches Mahl, und dann pachte ich ihr einen hübschen kleinen Stand in der Galerie, oder vielleicht ein kleines Geschäft auf dem Pont Notre-Dame, ich arrangiere ein paar Dinge mit den zuständigen Mächten, und voilà!, sie ist eine gesuchte Parfumeuse oder eine Verkäuferin von eleganten, parfümierten Handschuhen aus Italien, und nicht mehr arm. Sie entgilt es mir mit Zinsen, hilft mir ein wenig aus – aus Dankbarkeit, verstehst du. Wir profitieren beide.«
    Sie wies aus dem Kutschenfenster auf eine Gruppe von Bettlern, die bibbernd im Schnee standen. Unter ihnen waren eine blinde Frau und eine, die mit schauerlichen Schwären bedeckt war. »Siehst du all diese Leute? So geschieht es dir, wenn du nicht das Geschick hast, dir ein anständiges Auskommen zu sichern. Die Polizei wird sie alsbald aufgreifen.« Sie schüttelte den Kopf. »Vor langer Zeit teilte Sankt Martin seinen Mantel mit einem Bettler. Aber die Heiligen sind ausgestorben. Wir leben in modernen Zeiten, und niemand hat Gefallen an Bettlern, die die Straßen verstopfen. Bald schon werden sie im Gefängnisspital liegen oder an ein Ruder der Galeeren Seiner Majestät gekettet sein.«
    Ich schauderte. Das könnte ich sein, die dort in Lumpen stand. Und unterdessen war mir die Courage für den Fluß vergangen.
    »Aber du siehst«, fuhr sie fort, nachdem die Kutsche über holprige Furchen geruckelt war und wir uns festhalten mußten, »ich biete mehr als der König. Ich biete Wohlstand, Unabhängigkeit, Glück. Sieh mich nicht so an, ich bin nicht blöde – du meine Güte. Ich kaufe hübsche kleine Häuser, miete Zimmer, verschaffe niedlichen Waisenmädchen Stellungen als Zofen oder, wenn sie wohlgeboren sind, als Gesellschafterinnen bei Damen des allerhöchsten Adels. Und alle, alle sind sie meine Freundinnen und Helferinnen. Ich bin eine Philanthropin der Frauen. Ich mache sie alle wohlhabend, während ich mich selbst wohlhabend mache. Und ich kann auch dich wohlhabend machen.«
    Ich war mehr denn je überzeugt, vollkommen verrückt zu sein und obendrein dem irren Gerede einer Wahnsinnigen zuzuhören. Ich muß sie wieder auf die Erde holen, dachte ich. Ich werde ihre eigenen Argumente benutzen, um sie in die Wirklichkeit zurückzuholen.
    »Aber Ihr habt soeben gesagt, die Menschen kaufen nur, was sie wollen. Obwohl mein Vater mir den Schatz der Philosophie hinterließ, will ihn aber niemand kaufen – er läßt sich nicht einmal verschenken. Und überdies verstehe ich nichts von Geschäften –«
    »Ah, aber meine Liebe, du hast Talent! Und – ein Glück für dich! – so wie du aussiehst, wirst du zweifellos auf immer Jungfrau bleiben, und wir werden zusammen ganz wunderbare Geschäfte machen, nicht wie die dumme Marie-Marguerite, die ihre Zukunft bereits verwirkt hat –« Sie brach ab und sah mich eindringlich an. Ich muß sehr merkwürdig dreingeschaut haben, denn ich dachte an Onkel. »Sage mir«, forderte sie mich auf, indem sie mich von oben bis unten musterte, »du bist doch noch Jungfrau, nicht wahr?«
    »Nicht mehr«, sagte ich wütend. Sie tätschelte meine Hand. Ihr Mitgefühl hatte etwas Unangenehmes, nahezu Geschäftsmäßiges.
    »Hm, nun – das ist sehr interessant. Um so besser. Ja, entschieden besser. Du und ich, wir werden lange Zeit im Geschäft sein. Ich bringe dir alles bei, was du wissen mußt, ich werde dich etablieren, und dann werden wir einen Vergeltungsplan ausarbeiten. Du wirst bald wohlhabend sein – edle Weine, schöne Gewänder, eine eigene Kutsche –«
    »Was nützt Geld einer wie mir? Ich will all diese Dinge nicht! Ich will – ich will – ich weiß nicht, was ich will –« Ich strengte grimmig meine Augen an, um die aufsteigenden Tränen zu unterdrücken. Da wollte sie eine Lebensmüde mit einem neuen Kleid trösten. Und es war kaum zu ertragen, wie sie meine Intelligenz beleidigte. Hielt sie mich für ein gewöhnliches, idiotisches Frauenzimmer, das sich mit einem Spitzenkragen oder einer Perlenschnur kaufen ließ? Der Ausdruck ihrer dunklen Augen wechselte, als sie wieder sprach, wobei sie sich vorbeugte,

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