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Die Hexe von Paris

Titel: Die Hexe von Paris Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Judith Merkle-Riley
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Wäre ich in der Nähe des Königs, mich würde er bestimmt bemerken. Aber ich werde nicht eher die Chance haben, als bis –« Ach du liebe Güte, auch so eine Konsumentin von Liebestränken und Glücksbringern. Man sollte meinen, die Leute, die sie verkaufen, müßten wissen, wie lächerlich sie sind. Aber sie sind selbst ihre besten Kunden.
    Als ich dann angekleidet den Salon betrat, sah ich, daß meine Gastgeberin keineswegs so erbaut war wie Sylvie. Ihre beiden jüngsten Knaben, noch nicht den Mädchenkleidern und Gängelbändern entwachsen, stritten um einen Ball; der zehnjährige Bruder wurde soeben fortgeschickt, um in La Trianons Laboratorium ein Päckchen abzuholen. Ihre Stieftochter Marie-Marguerite warf ihr einen bösen Blick zu, als sie das Zimmer mit dem Frühstückstablett für ihren Vater durchquerte.
    »Ah! Die Marquise hat endlich beschlossen aufzustehen«, sagte La Voisin sarkastisch. »Seid gegrüßt, o Erleuchtete, hat die Sonne endlich unseren Horizont erhellt.«
    »Was ist geschehen? Was habe ich getan?«
    »Was du getan hast? Komm in mein Kabinett, Mademoiselle«, zischte sie. Ihre Hand umschloß mein Handgelenk wie eine Klammer, und ich flog förmlich hinter ihr her in ihr kleines privates Gemach mit den Geheimnissen in den Schränken.
    Als sie die Türe hinter uns abgeschlossen hatte, wandte sie sich mir zu. Ihre Augen flackerten gefährlich.
    »Als ich dich in die Welt schickte, um neue Geschäfte aufzutun, meinte ich nicht, daß du unter meiner Klientel Ärger aufrühren solltest.« Ich schwieg, aber meine Knie zitterten. Ich konnte nichts dafür. Ihr Zorn war fürchterlich, wie einer jener feuerspeienden Drachen, von denen man in alten Geschichten liest.
    »Ich tat, wie Ihr mich geheißen habt«, wagte ich zu sagen.
    »Comtesse de Soissons ist seit vielen Jahren meine Kundin. Wie kannst du es wagen, sie mir auszuspannen?«
    »Das habe ich nicht getan – sie hat mich gerufen. Ich habe sie zu Euch schicken wollen, das schwöre ich, aber sie hat nur gelacht.«
    »Es stand dir nicht zu, Madame de Montespans Sturz vorauszusagen.« Oje, das konnte nur eines bedeuten. Marquise de Montespan war ebenfalls ihre Kundin.
    »Sie – sie hat selbst gefragt. Es war im Glas – ich –«
    »Im Glas, im Glas, ach ja? Erinnerst du dich an keine von meinen Lektionen? Du willst dich erheben! Weißt du, was ich vor mir sehe? Ein niederträchtiges, trotziges kleines Mädchen, das alles nimmt und beschmutzt, was man ihm gibt. Du willst dich über mich erheben! Mir meine Kundinnen abspenstig machen! Wer hat dich aus der Gosse gezogen? Antworte mir!«
    »Es war der Fluß«, sagte ich mit der festesten Stimme, die mir zu Gebote stand.
    »O ja, wir haben Philosophie studiert! Wir sind keine arme Frau, die sich erhoben hat. Wir können Latein, wir können Griechisch wie ein Mann. Wir sind nicht gewöhnlich! Wir sind mütterlicherseits beinahe eine Matignon. O ja, man verbeuge sich vor dem Matignon-Blut in dem kleinen Fratz, wenn man es irgendwo finden kann!« Ich wich ängstlich in die Ecke zurück.
    »Ich habe nur getan, was Ihr sagtet. Ich habe Euch das Geld gebracht. Ich habe Euch alles gebracht, ich schwöre es.«
    »Ich habe dich gemacht, verstehst du, ich habe dich gemacht, du kleines Ungeheuer. Ich wollte dich, ich habe dich gerettet, und du gehörst mir! Warum hat dich deine Mutter wohl an jenem Morgen auf die Straße gesetzt? Warum war ich wohl dort und habe dich vor dem Fluß bewahrt? ›Warum für ein Begräbnis zahlen?‹ sagte ich zu deiner Mutter. ›Werft sie hinaus, und Ihr seid sie los. Man wird sie nie finden.‹ Ich sah das Schimmern in ihren Augen. Das Schimmern des Geldes. ›Steckt Eure Gebühr wieder ein‹, sagte ich, ›Ihr könntet alles kostenlos haben.‹ Kostenlos – da leuchteten ihre Augen! Geld! Das bringt eine Matignon zum Handeln. Geld, Geld und nur Geld. Das Geld, das dein Vater dir hinterlassen hat – sie würde vor nichts haltmachen, um es zu bekommen. Um so besser, wenn etwas umsonst zu haben ist. Eine ehrenwerte Sippe, die Matignons, wie alle die anderen Erlauchten, die mich aufsuchen. Oh, wahrhaftig! Aber du, du hast ein gottgegebenes Talent, du speisest und trinkst und kleidest dich auf meine Kosten –«
    Meine Knochen fühlten sich an wie Eis. Es paßte, alles paßte zusammen, wie das fehlende Teil eines Puzzlespiels. Mein Verstand schreckte davor zurück.
    »Es ist nicht wahr. Meine Mutter ist schön und fromm. Im Grunde ihres Herzens liebt sie mich – sie ist nur –

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