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Die Hexe von Paris

Titel: Die Hexe von Paris Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Judith Merkle-Riley
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nur –« Doch schon während die Worte aus meinem Mund kamen, wußte ich, daß sie nicht wahr waren.
    Die Hexenmeisterin musterte mich mit ihren dunklen Augen. Ich fühlte den Kummer aufwogen wie eine Welle.
    »Ich habe nie – ich habe nichts davon gewußt –«, flüsterte ich und lehnte mich an die Wand, um nicht zu fallen. O Wahrheit, du bist grausam, grausam. Alles verschwamm vor meinen Augen, und ich spürte, daß mein Gesicht naß war, naß und kalt wie die Wände einer Höhle. Finster und naß von unendlichem Kummer.
    »Ach«, sagte die Hexenmeisterin. Ihre Stimme war nun leise, ihr Zorn vergangen wie Rauch. »Du hast es nicht gewußt, nein? Sage mir –«, und ihre Stimme wurde schmeichelnd, »sage mir, was hast du für die Comtesse de Soissons im Glas gelesen?«
    »Sie hat mich nur – gefragt, was aus Madame de Montespan werden würde – und ich habe hingeschaut und sah sie in aller Eile den Hof verlassen, in ihrer Kutsche mit vier Vorreitern, auf der Straße nach Paris.«
    »Was gestern eingetreten ist – hm. Schneuze dich hier hinein, und dann lies für mich im Glas.« Sie reichte mir das bestickte Schnupftuch aus ihrem Ärmel. Dann nahm sie eine Vase mit Wasser vom Schrank und stellte sie auf ihr Schreibpult. Sie hatte das Glas schon vorbereitet. Also war auch dies vorausgeplant. Der scheinbar spontane Zornesausbruch, die vorgebliche Versöhnung – sie plante mit der Genauigkeit eines Generals und hatte das Geschick, andere durch Leidenschaften zu kontrollieren, zu unglaublicher Präzision ausgefeilt.
    Ich setzte mich zitternd auf ihren Stuhl und blickte lustlos in das Glas. Ein Bild formte sich und schimmerte aus der Tiefe empor. Madame de Montespan, in goldenem Tuch, mit Goldgarn bestickt, mit Diamanten besetzt, saß majestätisch in einem Lehnstuhl; andere Damen, darunter die Gouvernante, die ich gesehen hatte, umringten sie stehend oder auf Schemeln sitzend. Ein reich gekleideter Herr mit dunklen spanischen Gesichtszügen betrat den Raum. Der König.
    »Ich sehe Madame de Montespan, ganz in goldenem Tuch mit Diamanten, die den König im Beisein der Hofdamen empfängt.«
    »Schön, das ist schon besser.« Sie sah mich an. »Genug auf meinem Tisch geheult. Nimm dich zusammen. Du hast Verabredungen. Und ich habe Kundschaft. Die Kutschen auf der Straße sind nicht zu zählen. Oh, verflucht! Lucien ist fort, ich muß Philippe schicken.« Und damit rief sie ihren flegelhaften dreizehnjährigen Sohn, der viel zu dick war und nie etwas tat, und sprach leise zu ihm. Aber ich hörte es trotzdem, denn ich habe gute Ohren.
    »Gehe unverzüglich zu Mademoiselle des Œillets in der Rue Vaugirard. Sage ihr, ich verfüge über Mittel, die Zukunft ihrer Gebieterin auf das glänzendste zu lösen. Und wenn du nicht bis zum Nachtmahl zurück bist, bekommst du einen Monat lang kein Naschwerk.« Als er gegangen war, sagte sie angewidert: »Der ist von Antoine. Elender Faulpelz. Meine Kinder enttäuschen mich. Von dir erwarte ich etwas Besseres. Vergiß nicht, ich habe dich gemacht. Ohne mich bist du nichts. Putze dir die Nase. Du siehst aus wie eine Idiotin.« Als ich mich zum Gehen erhob, sagte sie ruhig: »Von nun an tust du klüger daran vorzugeben, daß du die Zukunft derer nicht lesen kannst, die das Glas nicht berühren. Du bist nicht geschickt genug, um dich aus den Intrigen herauszuwinden, die sich sonst ergeben. Komme in einer Woche wieder. Ich denke, dann werde ich eine gute Nachricht für dich haben. Deine Rache wird bald in greifbarer Nähe sein.«

KAPITEL 14
    A lte Damen sollten nicht trinken«, mahnte Sylvie. Ich stützte mich auf sie, und so gingen wir die Vordertreppe der Villa in der Rue Beauregard hinunter. Ich konnte nichts sehen; meine Augen unter dem schwarzen Schleier waren geschwollen. Mein Kopf hämmerte, und meine Balance, auf dem hohen Schuh ohnehin nie ganz sicher, war vollends geschwunden. »Kommt, ich nehme Euren Stock«, sagte Sylvie, als sie mir in die Mietdroschke half, die sie herbeigerufen hatte. Sänften und Kutschen drängten sich auf der Straße. Madames Kundschaft hatte sich nach den Neuigkeiten vom Hofe verdoppelt.
    Während des Vormittags empfing ich meine Klientel bei Madame Bailly hinter dem Wandschirm. Eine Witwe, die sich um ihren Sohn in der Armee sorgte. Eine Goldschmiedsgattin, die eine Erbschaft ersehnte. Ein Advokat, der ein Amt begehrte und fürchtete, ein Gegner würde es bekommen. Ein Mann, der argwöhnte, seine Frau sei untreu. Sie alle schickte ich getröstet

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